Regine Nahrwold am 6. Juli 2018
Ausstellung „365 years later“ in der Städtischen Galerie Wolfsburg
Kurator Markus Körber, Marlene Bart, Serena Ferrario, André Sassenroth
„Ich glaube, viele Menschen empfinden eine Leere, unternehmen aber nichts dagegen, sondern verhalten sich abwartend und sehen lieber dem Leben der anderen zu anstatt selbst aktiv zu werden.“ André Sassenroth erläutert seine Arbeit im Südflügel der Städtischen Galerie Wolfsburg, eine Tribüne mit 30 abgewetzten, orangefarbenen Plastik-Schalensitzen; irritierend eingepfercht und abgeschnitten wirkt sie, die man doch im Freien, in einem Stadion, erwartet, hier in dem geschlossenen Raum, den sie fast zu sprengen scheint. André Sassenroth (geb. 1979, Meisterschüler von Thomas Rentmeister), Marlene Bart (geb. 1991, Meisterschülerin von Wolfgang Ellenrieder) und Serena Ferrario (geb. 1986, Meisterschülerin von Wolfgang Ellenrieder) sind die drei Studierenden der HBK Braunschweig, die letztes Jahr mit dem Meisterschülerstipendium der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz ausgezeichnet wurden. Gut zwölf Monate später stellen sie nun die künstlerischen Ergebnisse dieses Zeitraums in der gemeinsamen Werkschau „365 years later“ im Wolfsburger Schloss vor.
Sassenroths Arbeit gehört zu seinem Zyklus „Andtire Gallery“, einem Projekt, das man mit Joseph Beuys eine soziale Plastik nennen könnte. Er hat einen Lastwagen zum mobilen Ausstellungsraum umfunktioniert und ist damit sowohl als Künstler wie auch als Kurator in Erscheinung getreten. Die Tribüne war das vierte „Inlay“ des Lastwagens.
Ausgehend vom Phänomen der Kunst-und Wunderkammern des 16. und 17. Jahrhunderts mit ihren Artificialia und Naturalia sowie vom Gedanken des Archivs analysiert und dekonstruiert Marlene Bart verschiedene Ordnungs- und Sammlungssysteme. Ihre Arbeit „Derma“ (Haut) ist ein Ensemble aus verschiedenen Medien, in dem das Fundstück eines toten Marders eine wichtige Rolle spielt. Um das Tier abgießen zu können, musste sie es rasieren. Diesen Prozess zeigt ein Schwarzweiß-Video auf dem Boden, umgeben von einem Polygon aus Glasplatten, in denen sich die rätselhaften Bilder spiegeln. Der an einen Embryo erinnernde haarlose Marder wurde das Motiv dreier auf holografische Folie gedruckter Serigraphien. Neben zwei weiteren Graphiken präsentiert die Künstlerin in einem hohen Glas die Haut einer drei Meter langen Schlange – sehr faszinierend.
Serena Ferrario widmet ihre Installation „Lelita Ioana“ ihrer verstorbenen Großtante Ioana Radu. Sie war eine der bekanntesten Chansonsängerinnen Rumäniens, bis heute werden ihre Lieder gespielt. Auf Reisen nach Bukarest auf den Spuren ihrer Großtante und ihrer Familiengeschichte, durch Gespräche mit Verwandten und Menschen, die Ioana Radu noch als Sängerin kannten, hat Ferrario auch ihre eigene Rolle als Künstlerin reflektiert. Ihre in nostalgisches, schummriges Licht getauchte Installation wird dominiert von einem Video, das von Lichterketten, Goldfolie und figürlichen Wandzeichnungen umrahmt ist. Der Film zeigt rumänische Frauen, die hingebungsvoll Puppen kämmen – eine, so Ferrario, eigentlich kindliche, spielerische Beschäftigung, als die man auch ihr eigenes, künstlerisches Arbeiten empfinden kann.
Der Künstler und die Künstlerinnen haben die Zeit ihres Stipendiums gut genutzt. Möge dieser Impuls sie auf ihrem Weg auch weiterhin beflügeln!