Regine Nahrwold am 15. Juli 2018
Ausstellung „The Voids“ im Museum für Photographie
Was ist heute noch dokumentarisch an der Dokumentarfotografie? Wie hat sich dieses Genre unter dem Einfluss der Medien und des Digitalen verändert, wo realistisch wirkende „Fakes“ an der Tagesordnung sind? Vier Antworten auf diese Fragen geben die Preisträger des Förderpreises 11 Dokumentarfotografie der Wüstenrot Stiftung, deren Arbeitsergebnisse nun im Museum für Photographie gezeigt werden. Der Preis richtet sich an Fotografinnen und Fotografen, die sich mit Themen der realen Lebenswelt beschäftigen und mit zeitgenössischen Mitteln die Definition des Abbildcharakters der Fotografie reflektieren. Darin steckt bereits die Relativierung dessen, was einmal die Definition dieses Genres war: ein objektives Bild der Wirklichkeit wiederzugeben, was längst als unmöglich gilt. Geblieben sei allerdings, so die Leiterin des Museums, Barbara Hofmann-Johnson, die Erwartung an politische, soziale und gesellschaftliche Inhalte sowie eine sachlich-informative Bildsprache. Dass aber mehr und mehr die Subjektivität des eigenen Standpunktes thematisiert wird und sich Grenzen zwischen den Gattungen weiter auflösen, zeigt auch diese Ausstellung mit dem Untertitel „The Voids“ („Die Leerstellen“), in der nicht nur Fotografien, sondern auch Videos und eine Multimedia-Installation zu erleben sind.
Alina Schmuch / Franca Scholz
Alina Schmuch (geb. 1987, Berlin) besuchte für ihr Filmprojekt „We can“ mit ihrer Partnerin Franca Scholz Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge. Man sieht unter anderem Handwerker bei der Herrichtung der Gebäude, noch leere und schon bewohnte Räume, Gruppen von Helfern bei Besprechungen oder beim Sortieren von Kleiderspenden und eine Pegida-Demonstration in Dresden. Doch die Flüchtlinge selbst fehlen in diesen Bildern, man kann nur aus dem Gezeigten auf sie schließen. Ein nüchternes Zeitdokument zu einer der größten Herausforderungen Deutschlands in jüngster Zeit und gerade jetzt sehr aktuell.
Susanne Hefti
Susanne Heftis (geb. 1984, Zürich) Multimedia-Installation „Kosovo – A Truly Non-Affirmative Research“ spürt den Folgen der überstürzten Einführung des Kapitalismus und der Liberalisierung der Märkte nach dem Zerfall Jugoslawiens für die Gesellschaft des Kosovo nach. Bei einer Reise fielen ihr dort die vielen Tankstellen entlang der mit EU-Geldern bestens ausgebauten Straßen auf – viel zu viele für die wenigen Autos im Lande, und häufig fehlten die Preisangaben. Sie erfuhr, dass diese Tankstellen sehr oft der Tarnung krimineller Banden dienen, die etwa mit Menschen handeln und Geldwäsche betreiben. Funkelnagelneu, geradezu antiseptisch, wirken diese Gebäude in ihren kühlen analogen, dann digitalisierten Farbaufnahmen. Zu der Diashow spricht die Künstlerin tagebuchartig von ihren Eindrücken.
Malte Wandel
Malte Wandel (geb. 1982, München) beschäftigt sich mit der Geschichte afrikanischer „Fremdarbeiter“ in der DDR nach der Wende und hat im Laufe der Zeit ein ganzes Archiv von Fotos und Dokumenten zu diesem Thema zusammengetragen. Für seine Arbeit „Sarah, Miguel und Jamal“ begleitete er drei Nachkommen solcher „Fremdarbeiter“ aus Mozambique und dokumentiert die Spuren ihrer Existenz. Seine Aufnahmen präsentiert er als wandfüllende Tapeten, in originellen Holzvitrinen als Leporello und auf dem Bildschirm.
Andrzej Steinbach
Andrzej Steinbach (geb. 1983, Berlin und Leipzig) entlieh den Titel seiner Fotoserie „Gesellschaft beginnt mit drei“ einem Essay von Ulrich Bröckling. Darin plädiert der Soziologe für die Beziehung von drei Personen als Ausgangspunkt von Gesellschaft. Mit drei mal drei Parametern – je drei weibliche Modelle, Positionen, Arbeitskleidungen – dekliniert die schwarzweiße Portraitfolge Repräsentationsformen, soziale Kodizes und Genderthematik durch.
Seit 15 Jahren arbeitet das Museums mit der Wüstenrot Stiftung zusammen, für die nun erstmals eine eigene Kuratorin, Stefanie Unternährer, die hochinteressante Ausstellung konzipierte. (Bis 16.9., am 13.7. um 19 Uhr Eröffnung und Sommerfest, Museum für Photographie, Helmstedter Str. 1, Öffnungszeiten: Di – Fr 13 – 18 Uhr, Sa + So 11 – 18 Uhr; am 2.8 bis 20 Uhr, freier Eintritt und Kuratorenführung um 18 Uhr)