Regine Nahrwold am 15. Juli 2018
Film „Tage am Meer“ im Kino Universum
Gerade hat Sofias Mann sie verlassen, weil er seine Liebe zum eigenen Geschlecht entdeckt hat. Sie ist am Boden zerstört und: Wie soll sie das nur ihren Kindern beibringen? Ein Tapetenwechsel muss her: Sofia (Leticia Mazur) packt die Koffer und fährt mit ihren Töchtern – dem Teenie Irina (Sofía Del Tuffo) und der achtjährigen Pachi (Lucía Frittayón) – für ein paar Tage ans Meer. „Tage am Meer“ ist auch der Titel des argentinischen Films von 2016, der im Kino „Universum“ noch einmal an diesem Samstag um 21.15 Uhr zu sehen ist. Seine Regisseurin Nadia Benedicto, geboren 1986 in Comodoro Rivadavia in Argentinien, studierte an der Universidad del Cine in Buenos Aires Kamera. Während dieser Zeit war sie die Autorin und Regisseurin mehrerer Kurzfilme. „Tage am Meer“ ist ihr Langfilmdebüt. Er bildet den Auftakt zur Reihe „Femmes totales – Filme von Frauen“. Sie wurde ins Leben gerufen, um unter dem Motto „Was Kino sein kann“ zeitgenössisches Kino von Frauen auf die Leinwand zu bringen.
Im Ferienhaus angekommen, zieht Sofia erstmal die Jalousie des großen Wohnzimmerfensters hoch und blickt zu den Klängen von Vivaldis „Sommer“ in einer modernen Fassung als Klavierkonzert lange in die Dämmerung über der See hinaus. Pachi ist begeistert: Sie war noch nie am Meer und kann es kaum erwarten, endlich hinzukommen. Irina dagegen ist reserviert, mag nicht essen und schottet sich pubertätsbedingt mit Kopfhörern und Handy ab; zudem ärgert sie sich darüber, dass der Fernseher nicht funktioniert. Trotzdem kümmert sie sich leicht genervt, aber zärtlich um die muntere, phantasievolle kleine Schwester, die ihr abends mit einer doofen Scherzfrage auf den Wecker fällt. Mit den besonderen Antennen dieses Alters für unterschwellige Störungen spürt sie auch, dass mit der Mutter etwas nicht stimmt. „Du bist der ängstlichste Mensch der Welt“ wirft sie ihr in einem Streit an den Kopf. Zack – das sitzt!
Immer wieder verweilt die Kamera liebevoll bei jeder einzelnen der drei Frauen: bei Sofia, wie sie voller Wut die Tapete in ihrem Schlafzimmer herunterreißt (darunter kommt ein Knallrot zum Vorschein); bei Pachi, wie sie vor dem Badezimmerspiegel die verücktesten Kostümierungen ausprobiert oder in gelben Gummistiefeln den einsamen Strand entlangstapft; bei Irina, wie sie ins Meer rennt und sich in die Wellen stürzt. Denn jede der drei erlebt in diesen Tagen, beflügelt vom Sehnsuchtsort Meer, ihre ganz eigene, bedeutsame Geschichte: Sofia findet Gefallen an Luis, dem jungen Mann, der den Fernseher repariert; er macht so etwas nur nebenbei, ist eigentlich Künstler und zeichnet Bäume. Prompt sieht sie sich halbnackt durch den Wald tollen und taumeln. Irina verliebt sich in die gleichaltrige Marina, albert mit ihr, einen Joint rauchend, im Mondschein herum und entdeckt – ebenfalls ganz romantisch – ein verlassenes Haus, in dem Marina einen Altar für die Meeresgöttin errichtet hat. Und Pachi? Sie gewährt den „Aliens“, die sie doch so sehr fürchtet, Zutritt zu ihrer Welt und verschwindet, während Sofia und Irina ihren Liebesgeschichten nachgehen. Ihr Wiederauffinden ist im wahrsten Sinne des Wortes eine zauberhafte Angelegenheit.
Ein liebenswerter, heiter-melancholischer, unsentimentaler Film, mit dem sich das Sommerloch vorzüglich ausfüllen lässt. Und einmal mehr ein Beweis dafür, dass Frauen unter den Filmemachern zu Unrecht unterrepräsentiert sind.