Regine Nahrwold am 18. Juli 2018
Film „Das unmögliche Bild“ im Kino „Universum“
„Papa sagt: Man muss man schnell sein, wenn man was sehen will, weil alles verschwindet. Ich glaube das nicht. Ich glaube, man muss nur lange genug hinschauen.“ Nun ist Papa tot, und die 13jährige Johanna erbt seine Super 8 Kamera. Die Mutter zieht mit ihr und der kleinen Lizzy zu den Großeltern in die Wiener Vorstadt. Der Kuchen zu Lizzys siebentem Geburtstag ist noch von der Beerdigung, aber „mit Kerzen drauf merkt das keiner“. Das ist im Jahr 1957.
Johanna ist die Protagonistin von Sandra Wollners Film „Das unmögliche Bild“, dem ersten Langfilm der 1983 geborenen Regisseurin, entstanden im Rahmen ihres Studiums an der Filmakademie Baden-Württemberg. Er wurde mit dem „Förderpreis Neues Deutsches Kino“ der Hofer Filmtage ausgezeichnet und läuft in der Reihe „Femmes fatales – Filme von Frauen“ noch einmal am Dienstag, 17. Juli, um 21.15 Uhr im Kino „Universum“.
Und Johanna schaut genau hin: Lizzys Geburtstag ist nur eine von vielen Gelegenheiten, bei denen sie die Kamera auf die Familie richtet. Aufgrund von Kinderlähmung geht sie an Krücken, ist vielleicht darum so viel zu Haus. Weihnachten („Heute mal keinen Streit!“, bittet Opa), Sonntagsessen mit Knödeln, Kaffeekränzchen mit Biskuitrolle und deutschen Schlagern, Lizzy und Hündchen Cora immer dabei. Lizzy fragt: „Opa, wann stirbst Du?“ Opa erzählt vom Krieg und man fragt sich: „Ist denn der Russe besser als der Ami?“ Alte Fotoalben werden angeschaut, wer war denn nochmal dieser kleine Junge? „Der Emil“, beharrt Lizzy, „ich habe ihn gerade noch auf dem Hof gesehen!“ Es wird wild durcheinander geredet, viele Schnäpse werden gekippt, viele Zigaretten gequalmt. Eine ganz normale Familie Ende der 1950er Jahre: spießig, aber irgendwie auch nett. Die Mutter sagt zu Johanna: „Nun iss doch mal was!“ Aber man muss sich entscheiden, ob man isst oder filmt. Und Johanna filmt lieber und ist darum selbst nie zu sehen.
Einmal aber ist sie zu hören: Sie singt ein Lied, und plötzlich schweigen alle, in der Stille erscheint eine Reihe von Puppengesichtern vor der Kamera. Und natürlich – man ahnt es längst – stimmt etwas nicht mit dieser Familie: Oma betreibt einen Kochclub. Viele Frauen kommen, trinken Kaffee und Schnaps, kochen aber nie. Irgendwann verschwindet Oma mit einer von ihnen in die hinteren Räume. Das Radio wird aufgedreht, damit man die Schreie nicht hört. Denn Oma ist Engelmacherin, Onkel Georg sorgt für Kundschaft. Oma schlachtet auch einen Karpfen und schneidet ihm den Bauch auf, im blutigen Fleisch zuckt noch sein Herz.
Der erste Teil des Films besteht aus fiktiven, kunstvollen, äußerst authentisch wirkenden Amateuraufnahmen, die sich, von Zwischentiteln getrennt, wie Episoden aneinanderreihen. Der letzte Abschnitt des Films heißt „Das unmögliche Bild“, und da verändert sich was: Die Kamera vollzieht einen 360 Grad-Schwenk durch die Wohnung, und plötzlich ist Johanna im Bild. Und der da auf dem Bett sitzt, ist das nicht ihr Vater? Übernimmt er nun wieder die Kamera? Was wir ab jetzt sehen, ist kein dilettantischer 8mm-Film mehr, sondern der Kunstfilm eines Profis. Zu Unterwasseraufnahmen erzählt Johanna, wie sie einmal fast ertrunken wäre. Aber eigentlich erinnert sie sich gar nicht mehr genau, nur daran, dass ein Karpfen auf sie zuschwamm und ihr in die Augen sah. „Vorstellungen sind eigentlich genau wie Erinnerungen, nur dass wir ihre Bilder noch nie gesehen haben“, sagt Johanna und: „Die Erinnerung ist so unzuverlässig, dass es auch genauso gut die Zukunft sein kann.“ Ein riesiger Karpfen erscheint vor dem Fenster des Zimmers, in dem sie am Ende stirbt. Oder stirbt sie gar nicht?
Ein phantastischer Film und eine große schöpferische Leistung der jungen Sandra Wollner. Von dieser Regisseurin werden wir noch hören und – noch viel besser! – sehen.