Regine Nahrwold am 2. August 2018
Ausstellung: Robert Michel und Ella Bergmann-Michel im Sprengel Museum Hannover
Ella Bergmann-Michel, Ohne Titel, Holzschnitt, 1917
Rotierende Segmente von Zahnrädern, verwischtes Schwarz zeigt ihre Geschwindigkeit an. In der Mitte ein Druckmessgerät, ein Uhrwerk von kleineren Rädern drumherum. Von da aus strahlen in alle Richtungen schmale Streifen von Notenpapier aus. Man hört förmlich die ratternde Maschinenmusik. Einmontiert dazwischen Schrift: „Gustav Otto“, „1911“, „TIK TAK“, „allen voran Mannesmann“. Das „MANN-ES-MANNBILD“ (Collage und Tusche) schuf Robert Michel 1918/19, nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, in dem die alte Welt- und Gesellschaftsordnung zerborsten war. Ihm liegt die Erfahrung der Moderne zugrunde, dass die Welt allenfalls noch in Fragmenten zu erfassen ist.
Robert Michel, Illustration zum Segelfliegerbuch O. Ursinus, Collage, Tusche und Deckweiß auf Papier, 1920/21
Seit 1988 befindet sich der Nachlass des Künstlerehepaars Robert Michel und Ella Bergmann-Michel mit weit über 2000 Werken als Dauerleihgabe im Sprengel Museum Hannover, der dokumentarische Nachlass wurde dem Museum als Schenkung übereignet. Nun hat Karin Orchard, die Leiterin der graphischen Sammlung, dem Paar erstmals eine gemeinsame Retrospektive ausgerichtet. Präsentiert werden etwa 250 Arbeiten aus allen Schaffensperioden und Medien, u.a. Zeichnungen, Druckgrafik, Collagen, Reklame, Architekturentwürfe, Fotografie und Film.
Robert Michel, Lok (Höhenflug), Feder und Aquarell auf Papier, 1923
Robert Michel, geboren 1897 in Vockenhausen im Taunus, verlebt seine Kindheit auf der Schmelzmühle, einer von vier Mühlen, die dem elterlichen Betrieb zur Herstellung von Schwärzen für die Farbindustrie angehören. Er begeistert sich für Flugzeuge und wird Pilot. Freiwillig meldet er sich an die Front und wird verwundet. Ella Bergmann, geboren 1895 in Paderborn, erhält in der Drogerie der Eltern früh die Möglichkeit, sich mit den chemischen und technischen Verfahren der Fotografie zu beschäftigen. Beide begegnen sich 1917 an der Großherzoglich Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar, wo noch der Einfluss von Henry van de Velde und Harry Graf Kessler wirksam ist. Sie heiraten 1919 und gehören zum Künstlerkreis um Johannes Molzahn, haben Kontakt zum „Sturm“-Galeristen Herwarth Walden in Berlin und zum neu gegründetem Bauhaus, dessen Lehrplan sie jedoch ablehnen. 1920 ziehen sie in die Schmelzmühle, ihr „Heimatmuseum of Modern Art“, wo Kurt Schwitters sie oft besucht.
Ella Bergmann-Michel, Ohne Titel (Neuronentier), Feder und Tusche auf Transparentpapier,1920
Schon früh werden Robert Michel und Ella Bergmann-Michel als „Pioniere der Bildcollage“ gefeiert, die sie immer in feinste Zeichnungen hineinmontieren. Er schafft 1919/20 die Holzschnittfolge „MEZ (Mitteleuropäische Zeit)“, die gleichermaßen kubistisch wie futuristisch anmutet. Er begeistert sich für die technische Welt mit ihren Motoren und Konstruktionen, die er in seine Werke integriert. Seine kunstvollen Arbeiten sind detailliert ausgearbeitet, Flugzeuge und Lokomotiven tauchen darin auf, Urfische, aus Maschinenteilen zusammengesetzt. Sie beginnt 1915 mit expressiven Zeichnungen und Holzschnitten nach der Natur, 1917 dann der Umschwung ins Ungegenständlich-Konstruktive. Sie teilt das Interesse ihres Mannes für die Technik, hat aber ein romantischeres Verhältnis zur Natur, verarbeitet Fische, Vögel und Insekten zu surrealen Maschinenwesen. In den 1920er Jahren werden ihre Formenwesen organischer, runder und dynamischer. Anrührend ist ihre „Geburtsurkunde für meine Tochter Ella“ (1927) mit dem Foto eines zusammengekauerten Embryos.
Ella Bergmann-Michel, Ohne Titel (Vier Fische spielen mit einem Halbmond), Bleistift und Aquarell auf Papier, 1935
Robert Michel reduziert seine Bildelelemente in den 1920er Jahren auf abstraktere, klare Formen. Sie scheinen die Reklame vorzubereiten, die er nun gestaltet, unter anderem für das Bauhaus, Persil und die Tankstellen Drapolin, für die auch seine Frau arbeitet. Er entwirft Architektur, darunter ein Ehrenmal für die Toten des Ersten Weltkriegs. Sie entdeckt die Fotografie für sich und beginnt um 1930, Filme zu drehen, meist zu sozialen Projekten wie „Erwerbslose kochen für Erwerbslose“ oder „So wohnen alte Leute“. Einen Film zur Wahlpropaganda der NSDAP kann sie nicht fertigstellen, während der Dreharbeiten wird sie kurzfristig verhaftet. Es entstehen die Zeichnung „Mein Herz schlägt rot“ (1935) und düstere „Dämonische Vögel“ (1939). Bis 1945 lebt das Ehepaar zurückgezogen auf der Schmelzmühle, danach setzen sie ihr Werk fort. Seine Zeichnungen/Collagen werden nun noch ausgefeilter und bekommen einen dekorativen Touch, ihre sensiblen, poetischen Blätter werden unter dem Einfluss des Informel teilweise abstrakter und malerischer. Eine überaus reiche, wunderbare Ausstellung – auf nach Hannover! (Bis 2.9., Sprengel Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz, Öffnungszeiten: Di 10-20 Uhr, Mi bis So 10-18 Uhr)
Robert Michel, MORD-bild, Zeichnung und Collage auf Papier, 1955/565