Regine Nahrwold am 23. August 2018
Ausstellung „Surviving the FItness“ im Kunstverein Wolfenbüttel
Chris Becher
COME CLOSER – folgt man dieser Aufforderung eines Leuchtkastens im Schaufenster des Kunstvereins Wolfenbüttel, blitzt es, die Fensterfront wird erhellt und zugleich mit ihr der neugierige Passant. Mit dieser Installation „Catch – Shoot – Release #1“ wollen die Künstlerinnen Anne Euler (geb. 1985) und Tina van de Weyer (geb. 1985) auf die heutige Reizüberflutung und die allgegenwärtige Videoüberwachung aufmerksam machen. Sie gehören zu den neun künstlerischen Positionen, die unter dem Titel „Surviving the Fitness“ präsentiert werden. Besonders tiefschürfend ist ihre Arbeit nicht, auch nicht die von Anneke Kleimann (geb. 1988). Deren knallgelbe Skulptur „Mü“, vorn Kugel, hinten Kegel, berührt den Boden in nur einem Punkt, in einem ständigen Balanceakt zwischen Stehen und Fallen, liegt aber meistens. Schon witziger ist Matthias Conradys (geb. 1988) Arbeit „Jetzt darf sich jeder nehmen“, die den Besucher animiert, Drucke, Zeichnungen und putzige Stickbildchen des Künstlers auf einem Schwarzweiß-Kopierer zu reproduzieren und mittels Signaturstempel zum Original zu erklären. Angezogen wird man sofort von Chris Bechers (geb. 1990) wandfüllender Arbeit „Our Daily Projections (AT)“. Sie führt Video, Sprache, Text und Fotografie collageartig zusammen, setzt sich mit der 150-jährigen Tradition der Vermarktung von Seifen in Indien auseinander und thematisiert die koloniale Denkart und Stereotypisierung auf diesem Gebiet.
Matthias Conrady
In der interaktiven Installation „Gewächs“ von Jens Isensee (geb. 1981) sprießt eine abstrakte Wucherung auf einem Bildschirm. Mit Hilfe eines Bewegungssensors dehnt sie sich mit wachsender Entfernung des Betrachters aus und schrumpft beim Näherkommen wieder, wird also von ihm gesteuert. Almut Elhardt (geb. 1977) hat sich für die Arbeit „changed condition“ in die Lebensumstände eines XP (Xeroderma Pigmentosum) Patienten versetzt. Unter den Lebensbedingungen der Mondscheinkrankheit, abgeschottet vom UV-Licht der Sonne, entstanden Fotografien, die, jeweils reduziert auf ihren durchschnittlichen Farbwert, 3761 Farbfelder bilden.
Hilfe, es brennt! Doch bei den vermeintlichen Rauschschwaden handelt es sich um Wasserdampf, der – paradox! – aus einem Rauchmelder quillt. „European Sleep“ des Duos Alisa Berger (geb. 1987) und Lena Ditte Nissen (geb. 1987) kreist um das Thema Sicherheit oder Zerstörung der Freiheit. „Metamorphosis I&II“, zwei Drucke von Deborah Uhde (geb. 1982) auf langen, weißen Papierbahnen, hängen lose vor der Wand. Grafische Elemente, aber auch Fotos von vereinzelten, skurrilen Gebrauchsgegenständen schwirren wie kosmische Körper im leeren Raum und bilden eine abstrakt-ornamentale Struktur – ein ästhetisches Vergnügen.
Deborah Uhde
Spannend wird es schließlich im dunklen Keller mit der Installation „Glückauf“ von Saori Kaneko (geb. 1976) und Richard Welz (geb. 1989). Im Tresor hängt eine Lithophanie, eine runde Platte aus Steinsalz, die, durchleuchtet, aufgrund unterschiedlicher Dicke der Platte ein Bild des Schachtturms 403 zeigt, eines stillgelegten Monuments des Uranabbaus in Deutschland. Begleitet wird sie von einer Bilderserie mit dem Titel „Befahrung der Schachtanlage Asse II“. Alles in allem eine vielseitige und interessante Ausstellung. (Bis 16.9., Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstraße 1, 38300 Wolfenbüttel, Mi bis Fr 16–18 Uhr, Sa und So 11–13 Uhr)