Regine Nahrwold am 18. September 2018
Konzert: Neue Chormusik in St. Aegidien
„Anschaulich, bildhaft, ja illustrativ sind die Orgelstücke von Olivier Messiaen. Außerdem war Messiaen Synästhet, der bei Klängen Farben gesehen und bei Farben Klänge gehört hat“, erläutert Kantor Bernhard Schneider zu Beginn des Konzerts am Samstag Abend im Chor von St. Aegidien. Es bildete den Auftakt zum Festival „Antiphonale – Neue Musik in der Kirche“, veranstaltet vom Verein „Freunde Neuer Musik Braunschweig“ unter der künstlerischen Leitung von Vlady Bystrov. Neben neuer Chormusik standen auch Orgelwerke des französischen Komponisten (1908-1972), der 1991 mit dem Louis Spohr-Preis der Stadt Braunschweig geehrt wurde, auf dem Programm, fein differenziert gespielt von Schneider selbst. Im atonalen Stück „Apparition de l’Eglise Éternelle“ (Erscheinung der ewigen Kirche) erklingen in den Höhen clusterartige Akkorde, während das Pedal in den Tiefen die wuchtigen Steinquader hörbar macht. „Le banquet céleste“ (Das himmlische Gastmahl) ist nichts anderes als die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi, eine Kette von vereinzelten Tönen im koloristischen Gesamtklang stellt hier die Blutstropfen dar. In „Le verbe“ (Das Wort) funkelt zu Anfang der Morgenstern, ehe das Wort Gottes sich herabsenkt, die Menschen zunächst in Verwirrung stürzt und sich dann in einer meditativ schwebenden Melodie ausbreitet. In „Les Anges“ schließlich lassen die Engel ihre Stimmen als munteres Vogelkonzert ertönen.
Mit „In Silence“ gelangte die erste von zwei Kompositionen der Estin Helena Tulve zur Aufführung, die auch anwesend war. (Als „Composer in Residence“ dieses Jahres widmete ihr das Festival ein Komponistinnenportrait.) Das Stück ist ein Dialog zwischen Männerstimmen und einer Improvisation für Saxophon (eigentlich Trompete), ausgeführt von Vlady Bystrov. Dessen souveränen, expressiven Spiel war der Chor mit seinem anspruchsvollen unisono-Part – mal chromatische Linien, mal große Sprünge – allerdings kein gleichwertiger Partner.
Der Münsterchor überzeugte mit „Cantate Domino“ des Litauers Vytautas Miškinis (geb. 1954), dessen vorwärts drängendes, frohes „Singet dem Herrn“ einen elegischen Mittelteil einrahmt. Die komplexe Harmonik von „O sacrum convivium“ (O heiliges Gastmahl) von Olivier Messiaen bewältigte er dagegen nicht durchweg sicher. Dazu dürfte auch die problematische Akustik des Kirchenraums mit starkem Nachhall ihren Teil beigetragen haben.
Den stärksten Auftritt hatte der Kinder- und Jugendchor „Pueri Cantores“ mit der schönen kanonartigen Chorimpro „Christ ist erstanden“ und „Ole tervitatud, Maarja“ (Gegrüßet seist Du, Maria) von Helena Tulve, einer Übertragung des gregorianischen Gesangs ins 21. Jahrhundert. „Invictus“ (Unbesiegt) des Amerikaners Joshua Rist (geb. 1988) – das einzige Werk mit Klavierbegleitung, alle anderen a capella gesungen – kam etwas populär-gefällig daher. Dafür erklang das rhythmische Stück „Daemon“ des ungarischen Komponisten György Orbán über die Versuchungen des Teufels in zügigem Tempo sehr dramatisch und packend. Ein hoch interessantes Konzert mit faszinierenden Kompositionen!
Die estnische Komponistin Helena Tulve