Regine Nahrwold am 21. September 2018
Ausstellung „Kreuzgang“ von Wolf Menzel im Altstadtrathaus
Das 2 Meter hohe, 6 Meter lange Gemälde zeigt eine Zimmerwand mit gemusterter Tapete. Darauf „hängen“, als Trompe-l’œil gemalt, Bildzitate aus Geschichte, Fotografie, Film und Malerei der Zwanziger Jahre. Es beginnt mit der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann und der Ausrufung der freien sozialistischen Republik durch Karl Liebknecht, beide Ereignisse fielen am 9. November 1918 zusammen. Es folgen unter anderem Bilder von Lotte Laserstein, Käthe Kollwitz, George Grosz; zum Abschluss ein Foto von Otto Wels bei seiner Rede gegen das Ermächtigungsgesetz 1933. Unten kriecht – vielleicht von frühen Stummfilmen inspiriert – unheilvoll ein schwarzer, sich immer weiter aufrichtender Schatten heran, um endlich als Adolf Hitler vor einer geöffneten Tür zu stehen. (Warum nur betrachtet er ein Ei in seiner Hand?)
Das Gemälde ist Teil des Projekts „Kreuzgang: Vom Suchen und Finden der Deutschen“, an dem der Maler Wolf Menzel seit November 2014 arbeitet. Menzel, der sich selbst „Bildermacher“ nennt, lebt und arbeitet seit den 1980er Jahren in Braunschweig, wo er seit 2010 Kunst- und Kulturprojekte im öffentlichen Raum entwickelt. Eine ähnliche Bildcollage wie hier hatte er bereits zum Jubiläumsjahr 2013 gemeinsam mit seinem Kollegen Martin Seidel geschaffen. Sein Bilderzyklus „Kreuzgang“ behandelt in vier Bildwänden die deutsche Geschichte von der Weimarer Republik über die Zeit des Nationalsozialismus und das geteilte Deutschland bis zur Gegenwart nach der Wiedervereinigung. Geplant ist offenbar, die vier Teile zu einem Innenraum zusammenzusetzen, der den Betrachter wie ein Panorama umgibt. Und warum heißt das Ganze „Kreuzgang“? Dazu der „Bildermacher“ selbst: „Ein Kreuzgang ist ein baulicher Teil eines Klosters, einst ein Ort des Lernens, des Lehrens und der Einkehr. Der Kreuzgang jedoch beschreibt die Gangart eines jeden landlebenden Wirbeltiers. Zusammengefasst bilden beide Erklärungsmodelle für mich die Essenz vom Suchen und Finden, der Bewegung im Aufbruch, des Lernens, der Einkehr und der daraus abzuleitenden Lehre.“
Wahrhaft Großes hat Menzel sich da vorgenommen! Gelingt es ihm auch, das entsprechend umzusetzen? Die Bilderwand der Weimarer Zeit ist gekonnt gemalt, wirkt aber, gemessen am damaligen Zeitgeschehen, harmlos und hübsch auf der gemusterten Tapete, der dämonische Schatten dagegen arg horrormäßig und simpel. Auf dem zweiten Gemälde, dem zur NS-Zeit, hat Menzel die lineare Abfolge verlassen zugunsten eines Kaleidoskops von symbolischen Dingen (KdF-Volkswagen, Wunderwaffe V1), Bildzitaten (Otto Dix) und Personen (Roland Freisler, Anne Frank, Georg Elser und andere Widerstandskämpfer). Das ist schon besser, aber angesichts von Terror, Krieg und Holocaust der Nazis noch immer viel zu brav.
Dazu präsentiert Menzel an den Wänden des Gaußsaals eine Grafikfolge von Portraits der deutschen Reichskanzler von Friedrich Ebert bis Adolf Hitler, jeder erscheint zwischen seinem jeweiligen Vorgänger und Nachfolger. Diese mechanische Abfolge plätschert langweilig dahin, ohne auch nur einen Hauch von den großen Problemen und Kämpfen dieser Zeit ahnen zu lassen. So taucht der 1920 für 5 Tage selbst ernannte Wolfgang Kapp, Mit-Anführer des rechten Kapp-Lüttwitz-Putsches, gar nicht erst auf. Dabei wäre gerade er eine ergiebige Figur gewesen.
Die Ausstellung ist Teil des Kulturprojekts „Vom Herzogtum zum Freistaat – Braunschweigs Weg in die Demokratie (1916-1923). Zur Schau gibt es ein Quiz: Wer acht von 16 Fragen zur Braunschweiger Geschichte und zur Weimarer Zeit richtig beantwortet, nimmt an einer Verlosung teil. Als Preis winkt ein Workshop mit Wolf Menzel, bei dem man sein ganz persönliches Braunschweig-Bild in einer Collage gestalten kann. Die Quiz-Fragen bekommt man in der Ausstellung sowie im Eingangsbereich der Stadtbibliothek. (Bis 10.10., Altstadtrathaus, Gaußsaal, Öffnungszeiten: Di.- So. 10 – 17 Uhr)