Regine Nahrwold am 4. Oktober 2018
Ausstellung „Between Continuum“ von Jitka Hanzlová im Museum für Photographie Braunschweig
Aus der Serie Horse (2007-2014)
Sanft, fast demütig hält das Pferd den Kopf gesenkt, den Hals im Bogen gespannt. Und es ist weiß, so weiß… Sogar die langen Wimpern haben diese Farbe. Ein anderes Bild geht ganz nah an das Ohr des Tieres heran, jedes der weichen Haare im Inneren zeichnet sich vor dem Himmel ab. „Pferde waren mir immer wichtig“, erzählt Jitka Hanzlová auf dem Presserundgang. „Als Kind wollte ich unbedingt eins haben, aber Reiten war in der CSSR als aristokratisch verpönt. Mit 15 Jahren bekam ich dann die Gelegenheit, in einem Pferdestall als Pflegerin zu arbeiten. Da war ich dann immer mit 13 Pferden allein. Ich habe geschwiegen und die Körpersprache der Pferde wahrgenommen. Irgendwann habe ich dann begonnen, die Menschen so zu beobachten, wie ich die Pferde beobachtet habe, ihre Körpersprache.“ Horse (2007-2014) ist eine der vier Serien der in Essen lebende Fotografin, die nun unter dem Titel „Between Continuum“ im Museum für Photographie Braunschweig zu sehen sind.
Hanzlová wuchs im Dorf Rokytník in Ostböhmen auf. 1982 floh sie aus der Tschechoslowakei/CSSR nach Deutschland und studierte von 1987 bis 1994 Visuelle Kommunikation mit Schwerpunkt Fotografie an der Universität-Gesamthochschule Essen. Kurz nach 1990 kehrte sie erstmals nach Rokytník zurück und begann dort ein Langzeitprojekt, das 1994 zu ihrer Diplomarbeit wurde. Von 2005 bis 2007 hatte Hanzlová eine Gastprofessur an der Hochschule für bildende Künste Hamburg inne, seit 2012 ist sie Gastprofessorin an der Zürcher Hochschule der Künste.
In Rokytník, jenem ersten, inzwischen berühmten Langzeitprojekt (1990-1994), hat die Künstlerin Eindrücke aus ihrem Heimatdorf aufgenommen: Menschen, Tiere, Kinder, Wäsche auf der Leine, ein Haus im Schnee; ein Junge tanzt auf der Wiese mit einem Schaf. Mit zärtlichem Blick hat sie durch die (analoge) Kamera ein unsentimentales Idyll erschaut und Bilder in weichen, etwas verwaschenen Farben geschaffen. Zu der Serie wird hier erstmals ein ebenfalls damals entstandener Film gezeigt. „Ich gehe zurück zur Vergangenheit, um in die Zukunft zu schauen“ lautet ein viel zitierter Satz von Hanzlová, und sie ergänzt ihn: „Man muss erst einen Bruch mit der eigenen Vergangenheit vollziehen, eine Distanz zu ihr finden, um sie dann wieder neu entdecken. Wenn man zurückkehrt, ist das fast wie ein Konflikt.“
Die Bilder der Folge Forest (2004–2006) sind keine realistisch-abbildenden Aufnahmen vom Wald, sondern traumartige, meist nächtlich-dunkle Bilder von großer poetischer Kraft. „Sie kommen aus dem tiefen Inneren, so wie von einer Hand, die in einem Handschuh steckt“, schrieb der Kunstschriftsteller John Berger dazu. Auf die Frage, ob es eine Beziehung ihrer Fotografie zur Malerei gebe, antwortet Hanzlová: „Das müssen die Kunsthistoriker sagen. Ich selbst gehe nie von Bildern aus. Es gibt ein wunderbares Buch von Alfred Renger-Patzsch über Bäume, das schönste Buch, das ich kenne. Das habe ich damals immer wieder angesehen. Aber irgendwann habe ich es weggelegt und den Weg zu den Bildern in meinem eigenen Inneren gefunden.“ Der Anblick einer alten Birke im Mondschein war der Auslöser dafür.
Und schließlich die Reihe Vanitas: Vor schwarzem Grund erscheinen wie farbige, fragile Skulpturen einzelne verwelkende Blüten, direkt von vorn oder von oben aufgenommen: ein von Samenfäden umschwirrter Löwenzahn, eine aufgebrochene Sonnenblume, eine vertrocknete Hortensie… Mittendrin eine Spinne, deren Faden seit alters ein Symbol für die verrinnende Zeit ist. Inmitten des Verfalls offenbaren die Blumen eine ganz eigene Schönheit – „Between Continuum“.
Toll, dass es dem Museum für Photographie gelungen ist, diese große Künstlerin für eine Ausstellung in Braunschweig zu gewinnen! (Bis 2.12. Museum für Photographie Braunschweig, Helmstedter Straße. Öffnungszeiten: Di-Fr 13-18 Uhr, Sa + So 11-18 Uhr. Dazu wird ein umfangreiches Begleitprogramm geboten. Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit der Städtischen Galerie Wolfsburg, wo weitere Arbeiten von Jitka Hanzlová gezeigt werden. u.a. Portraits.)