Regine Nahrwold am 6. Oktober 2018
Ausstellung „Im Auge des Spiegels“ von Jürgen Durner im Kunstverein Wolfenbüttel
Das erste Kunstwerk, das mittels eines Spiegels den Bildraum erweitert, ist „Die Hochzeit des Giovanni Arnolfini“ von Jan van Eyck aus dem Jahr 1434. Zahlreiche berühmte Gemälde, in denen Spiegel eine bedeutungsvolle Rolle spielen, sind seitdem entstanden. Was aber, wenn dieser Spiegel durchsichtig wird? Oder wenn das eigentlich Unsichtbare, die farblose Glasscheibe, zu spiegeln beginnt? Dann entstehen Bilder wie die von Jürgen Durner, dessen Ausstellung „Im Auge des Spiegels“ nun im Kunstverein Wolfenbüttel zu sehen ist.
Der 1984 in Nürnberg geborene Künstler studierte freie Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg und an der Ecole des Beaux Arts in Paris. Unter anderem schuf er auch Bühnenbilder und Wandgemälde. 2002 und 2003 Arbeitsaufenthalte in New York und London. Achtmal wurde er mit einem Preis ausgezeichnet, zuletzt, 2010, mit dem Publikumspreis der 1. Triennale der Kunsthalle Schweinfurt.
„Das plane Glas hat eine Eigenschaft, die das gemalte Bild schon vorauswirft. So verdinglicht es sich in meiner visuellen Wahrnehmung als Malerei, während ich in die Abgründe seiner Transparenz blicke“, so Jürgen Durner. „Die Glasscheibe ist also der Bild-Macher, sie tut es eigentlich bereits ohne mich oder bewahrt das Bild für mich auf, bis ich es finde. Das Künstlerische besteht für mich in einer Art Verdichtung vorgegebener Themenzüge (…). D.h. Kunst kann für mich nur in einem Gebilde entstehen, das sich aufgrund von spielerischen und gestalterischen Prozessen in ein komplexes System entwickelt, ganz so, wie es die vielschichtigen Ebenen des an sich unsichtbaren Glases vorgeben.“
„Apple and Rose II“ von 2018 ist ein solches komplexes System: der Blick auf und durch eine Fensterscheibe in ein Arbeitszimmer, wo ein aufgeklapptes Notebook von Apple Macintosh auf dem Schreibtisch steht; im Hintergrund eine Tür, ganz vorn rechts, angeschnitten, eine Stuhllehne. Auf dem Fenster, der vordersten dieser hintereinander gestaffelten Raumebenen, schwebt die Spiegelung einer Rosenranke mit einer einzigen roten Blüte; sie wirft zugleich einen filigranen Schatten auf einen weißen Vorhang. Die Konturen sind unscharf, Innen- und Außenraum verschwimmen ineinander in einem flüchtigen, träumerischen Moment, der sich im Nu wieder auflösen wird… In „Oase“ von 2017 spiegelt sich ein Dschungel in mannigfaltigen Grüntönen in einer wogenden Wasserfläche.
Fenster und Spiegelungen stehen seit den frühen 90er Jahren im Zentrum von Durners Werk. Seit etwa drei Jahren verfolgt der Künstler jedoch die Idee einer Innenwelt in der Außenwelt oder des Gegenübers beider. So in „Nacht und Nebel“ von 2017: Der Betrachter schaut vom Ausgang einer grell erleuchteten Tiefgarage in die Zentralperspektive einer nächtlichen Straße hinaus, eine Reihe von Laternen läuft auf ein großes Haus mit schwarzen Fenstern zu; rechts davon schimmert Licht durch ein gotisches Kirchenfenster. Eine völlig andere Welt tut sich da auf, romantisch wie die des Nachtwächters von Bonaventura, aber auch unheimlich und beängstigend.
Eine neue Serie beschäftigt sich mit digitalen Bildern, die im Begriff sind, sich auf einem Monitor aufzubauen, ohne das Bild wirklich empfangen zu können – eine Bild-Störung also. Darin manifestiert sich die nicht ohne Zweifel formulierte Frage Durners nach dem Bild und der Malerei an sich. Ein reizvolles, malerisch ergiebiges Motiv ist das außerdem, wie „Bild-Begehren“ von 2018 beweist. Tolle Bilder von einem phantastischen Maler! (Bis 28.10., Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstraße 1, 38300 Wolfenbüttel, Öffnungszeiten: Mi. bis Fr. 16–18 Uhr, Sa. und So. 11–13 Uhr)