Regine Nahrwold am 11. Oktober 2018
Film „Das Dorf der Vergesslichen“ von Madeleine Dallmeyer im Kino Universum
In Faham, einem kleinen Ort in Thailand, wird jedes Jahr ein Volksfest gefeiert, beim dem ein geschmücktes Boot zu Wasser gelassen wird. Mit ihm sollen das schlechte Karma, alle Sorgen und Ängste, einfach davonfahren. Mit dabei in der fröhlichen Menge: 14 demenzkranke Menschen aus Europa, die in „Baan Kamlangchay“ leben, einer Pflegeeinrichtung, die der Schweizer Martin Woodtli gegründet hat. Einblicke in dieses Leben gibt der Dokumentarfilm „Das Dorf der Vergesslichen“ von Madeleine Dallmeyer, der am Montag Abend im Kino Universum lief und noch einmal am Sonntag um 11.15 Uhr zu sehen ist.
Geradezu paradiesisch ist die Betreuung in „Baan Kamlangchay“: Die Gäste sind über mehrere Häuser im ganzen Dorf verteilt, jeweils zwei wohnen zusammen in einem Haus. Für die Einwohner von Faham gehören sie ganz dazu. Auf einen Patienten kommen drei Pflegerinnen, jeweils zwei teilen sich Tag- und Nachtschicht, während die dritte frei hat. Alle sind also rund um die Uhr versorgt – und wie! Da wird gesungen, gelacht, getanzt, leckeres Obst geschmaust, geschwommen, ein Ausflug gemacht. Rücken werden eingeseift, Prothesen eingesetzt und Hosen gewechselt, wenn mal was daneben gegangen ist. Der Patient Martin blättert in einer Jagdzeitschrift. Er war früher selbst Jäger. Nun versucht er, seiner Pflegerin, das schwierige Wort „Elch“ beizubringen – sehr zu beider Erheiterung. Auch miteinander haben die Gäste viel Spaß: Ruth und Maria lachen sich schlapp. Martin genießt mit Kurt ein Zigarette: „Und wenn einer von uns mal wieder spinnt – wir wissen’s auch, oder?“ „Jojo.“
Die meisten der liebevollen Betreuerinnen sprechen ein wenig Deutsch oder Englisch. Sie haben auch die Aggressionen und die Beschimpfungen ihrer Schützlinge auszuhalten. Geri brabbelt Unverständliches und ist von der demenztypischen Unruhe befallen, dauernd rennt er herum oder weg. Doch seine Pflegerin sagt: „Ich habe ihn lieb wie einen Vater. Ich mag nicht dran denken, dass er eines Tages sterben wird.“ In Thailand ist es nicht üblich, für die Pflege Geld zu nehmen, es ist selbstverständliche Pflicht.
„Ich möchte, dass mein Vater an einem Ort ist, wo er glücklich sein kann“, sagt Kurts Tochter mit Tränen in den Augen. Ruth bekommt einen Anruf von ihrer Tochter, aber …
… das Handy ist ihr sichtlich fremd, das Kind weit weg. Nur einmal streichelt sie mit dem Daumen das Gesicht auf dem Display. „Baan Kamlangchay“ – ein Idyll, gar das Ideal? Für die Gäste scheint es das zu sein, obwohl sie fern der Heimat sind. Doch wie ist es für die Pflegerinnen? „Eine Lohnerhöhung wäre nicht schlecht“, sagt eine. Eine andere erzählt, ihre Kinder, die bei ihren Eltern leben, sehe sie nur zweimal im Jahr. Doch sie sind zufrieden.
Einige der Fragen, die der Film offen lässt, beantwortete Madeleine Dallmeyer im Publikumsgespräch. Ja, Woodtlis Einrichtung sei profitorientiert. Er sei aber eine integre Person. Mehr als 14 Patienten wolle er nicht aufnehmen, da diese sonst das Dorf zu sehr dominierten. Und anderswo in Thailand würden Einrichtungen für 70 Gäste in ein Dorf gepflanzt, die seien wirklich nur auf Geld aus. Die Pflegerinnen bekämen ein landesübliches Gehalt – nicht üppig, aber pünktlich ausgezahlt, und ihr Job sei sicher. Die sprachliche Verständigung mit den Gästen sei durchaus ein Problem. Ein Platz in „Baan Kamlangchay“ koste etwa 2500 Euro im Monat – so viel, wie ein Heimplatz in Deutschland auch. Viele Ehrenamtliche arbeiten mit, so eine Schweizer Krankenschwester, die dreimal jährlich unbezahlten Urlaub nehme, um das Personal fortzubilden.
Weihnachten wird in „Baan Kamlangchay“ unter strahlender Sonne als Cowboy-Fest gefeiert, mit den Dorfbewohnern. Ziemlich befremdlich, aber alle sind vergnügt. Warum dann nicht?