Regine Nahrwold am 23. Oktober 2018
„Summa Summarum“ von Henning Venske im Kulturzentrum „Brunsviga“
Ganz und gar gentlemanlike, im grauen Anzug mit Weste, erschien der Kabarettist, Schauspieler, Regisseur und Schriftsteller Henning Venske am Samstag Abend auf der Bühne des Kulturzentrums „Brunsviga“, um sich mit seinem Programm „Summa Summarum“ von Freund und Feind zu verabschieden. Doch das distinguierte Outfit täuscht: In seinem 80. Lebensjahr ist Deutschlands „meistgefeuerter Satiriker“ bissig und böse wie eh und je. Im Zeitraffer geht’s durch die deutsche Nachkriegsgeschichte von den spießigen fünfziger Jahren, wo Kommunisten wieder verfolgt, Frauen als „Füllmaterial für Mieder“ angesehen wurden und Sex außerhalb der Ehe nur als „Selbstbestäubung im Herrgottswinkel“ möglich war bis heute: Da stehen der Einheitspartei von CDUCSUFDPSPDGrüne nur noch Adolfs Fiese Dumpfbacken gegenüber, in den blühenden Landschaften im Osten geht wenigstens die braune Saat auf und Konzerne machen unter dem Motto „Leistung muss sich wieder lohnen“ mit fragwürdigen Privatisierungen den großen Reibach. Die Neulagerung der Atommüll-Fässer aus der Asse werde wahrscheinlich im Jahr 3000 erfolgen, zusammen mit der Eröffnung des Berliner Flughafens.
Sämtliche Bundespräsidenten – „eine allseits anerkannte Überflüssigkeit, lieber wäre ich Animateur an der Käsetheke von Edeka“ – und Bundeskanzler bekommen ihr Fett weg. Vor allem natürlich Helmut Kohl: „Er war gar nicht dick, sondern wirkte nur so, weil sein Jackett mit Banknoten gepolstert war.“ In ihm werde die Nachwelt einmal alle austauschbaren Kanzler bündeln: den Sauerkohl Helmut Schmidt, den Rotkohl Gerhard Schröder, die Kohlroulade Angela Merkel. Immerhin habe Kohl keinen einzigen deutschen Soldaten ins Ausland entsandt, während Schröder und sein „Grünkohl“ Joschka Fischer die Bundeswehr in den Jugoslawienkrieg schickten. Heute sei sie wieder an fast so vielen Orten im Einsatz wie die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Alle frühen Bundespräsidenten waren in den Nationalsozialismus verstrickt, nur Gustav Heinemann war im Widerstand – „eine schwere, personalpolitische Panne“.
Manches Politikerzitat belegt: „Große Formulierungen bedürfen keiner Gedanken“. Umso gehaltvoller waren – Schlag auf Schlag – Venskes eigene brillante Formulierungen: der Staat – „eine Organisation zur Mästung des Kapitalismus“; die Inquisition – für den erzkatholischen Familienminister Würmeling „eine linksradikale Bürgerbewegung“; die RAF – „ineffektiv, verglichen mit der SS“. Und an der Generation der 1968er arbeiten sich heute die „Zeitgeistnutten“ ab. Da mag so einigen Zuhörern das Lachen im Halse steckengeblieben sein – so muss politisches Kabarett sein! Doch auch leisere, nachdenkliche Töne hatte Venske, der sein Programm mit Zitaten von Schiller, Heine, Arno Schmidt und Jean Luc Godard würzte, parat: „Man muss nicht fremde Kulturen in Frage stellen, es reicht schon, über sich selbst nachzudenken.“ Zum Abschluss gab der studierte Germanist und Historiker seinem begeisterten Publikum zweierlei mit auf den Weg: „Niemals resignieren!“ und – mit Goethe: „Der Sinn des Lebens ist das Leben selbst!“
Zwischen den Wortbeiträgen spielte Venskes kongenialer Partner Frank Grischek auf dem Akkordeon Tangos von Astor Piazolla und Walzer von Chopin, „Toots“ Thielemans und Schostakowitsch. Die hinreißende Musik auf dem vom Muff des Volkslieds entstaubten Instrument war ein völlig gleichwertiger Gegenpart, der die Anspannung immer wieder befreiend löste.