Regine Nahrwold am 31. Oktober 2018
Lesung: Sebastian Fitzek mit „Der Insasse“ im Großen Haus des Staatstheaters
„Ein Notfallhandy ist in der Bibliothek versteckt, im ausgehöhlten ‚Ulysses‘ von James Joyce. Keine Angst, das Buch ist knochentrocken, da geht schon keiner dran.“ Till Berghoff, unter falschem Namen als „V-Patient“ auf dem Weg in eine Klinik für forensische Psychiatrie, bekommt noch im Rettungswagen letzte Infos zu seiner Sicherheit. In der Klinik ist der Kindermörder Guido Tramnitz inhaftiert, der Berghoffs kleinen Sohn Max entführt hat. Max lebt vielleicht noch, doch Tramnitz weigert sich, mit der Polizei zu kooperieren. Der verzweifelte Vater, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und dem Wunsch nach Gewissheit, setzt alles auf diese letzte Karte, um die Wahrheit aus Tramnitz herauszulocken…
Das Schicksal des „Ulysses“ dürfte auch Sebastian Fitzeks 17. Psychothriller „Der Insasse“ erspart bleiben: Die Fans fiebern dem soeben erschienenen Buch entgegen, und zu seiner Lesung am Sonntag Abend im Rahmen des 11. Braunschweiger Krimifestivals erwartet den erfolgverwöhnten Autor das ausverkaufte Große Haus des Staatstheaters. Aber was heißt da schon „Lesung“? Zwar liest Fitzek sehr ausdrucksvoll drei Kapitel und die – sehr witzig! – als Kurzthriller verfasste Danksagung seines Romans. Doch das sind nur vier Wortblöcke, um die herum der Dampfplauderer eine mitreißende Show gebaut hat. Untermalt von einer Powerpoint-Präsentation kommen Familiengeschichten zur Sprache, Fanpost („Herr Fitzek, kann ihre Frau neben Ihnen überhaupt noch einschlafen?“), fehlgeschlagene Marketingkonzepte, seine Recherchen, Überzeugungen, die Verfilmungen seiner Bücher und die Frage nach der Erfolgsformel. Die Anekdoten, Pointen, Lacher, Gags folgen Schlag auf Schlag… Da hat ihn doch glatt ein Fan per Twitter für tot erklärt, aber: „Als ich das letzte Mal meinen Puls fühlte, schlug er noch.“ Nicht jeder Mensch sei böse, doch „im Angesicht des Todes schärfen wir unsere Sinne“, darum seien Krimis so spannend; erst die Lebensumstände bringen Böses im Menschen hervor. Man wolle das Böse besser verstehen, aber die Realität werde oft durch Zufälle bestimmt. Seine drei kleinen Kinder haben Fitzek um eine Gruselgeschichte angebettelt, und er hat sich eine für sich ausgedacht – mit dem Erfolg, dass sie nur noch zu dritt in einem Bett schlafen konnten. Eine Flasche Febreze mit Lavendelduft, zum Anti-Monsterspray erklärt, …
…schaffte Abhilfe, aber dafür stank das Kinderzimmer eben auch drei Wochen lang nach Lavendel. Eine Erfolgsformel gebe es nicht, er habe einfach auch sehr viel Glück gehabt. „Und wenn Sie selbst schreiben: Schreiben Sie über das, was Ihnen auf den Nägeln brennt, ohne Rücksicht auf eine Zielgruppe oder eine mögliche Rezeption – bis das Buch vorliegt, ist sowieso wieder alles ganz anders.“ So habe der Verlag für das Erscheinen seines Erstlings „Die Quote“ das Jahr der Bundestagswahl 2006 angesetzt, doch dann sei Schröder schon 2005 gegen Merkel angetreten, und der Plan war im Eimer. Gut so, denn „Die Quote“ sei schlecht. Stattdessen kam – mit Schröder als unfreiwilligem Geburtshelfer – „Die Therapie“ heraus.
Im ersten Kapitel des „Insassen“ wird Miriam vom Mörder Tramnitz, der sich als Polizist ausgibt, in einen Keller mit der Leiche ihrer kleinen Tochter gelockt. Der Keller ist „eine Hölle“. Schwarzer Schimmel überzieht die Wände „wie Teer eine Raucherlunge“, es riecht nach „Blut, Urin, Angst und Tod“. Als Miriam Tramnitz dann durchschaut, wird es „kalt in der Hölle“. Ganz schön dick aufgetragen! Die Rezensentin ist am Ende etwas ermüdet und abgestumpft vom Fitzekschen Dauerbeschuss, aber das Publikum lauscht atemlos, applaudiert begeistert und steht schließlich Schlange, um sich „Der Insasse“ signieren zu lassen.