Regine Nahrwold am 13. November 2018
Interview mit Sandrine Bonnaire
Mit strahlendem Lächeln betritt Sandrine Bonnaire den Konferenzraum in ihrem Hotel. Das braune Haar trägt sie gelockt, ihr Make up betont die unglaublich dunklen Augen, dazu ein leichtes rot-weißes Kleid – très chic! Dabei wirkt sie sympathisch, offen, natürlich, und ich habe sofort einen guten „Draht“ zu ihr.
RN: „1983, mit 16 Jahren, wurden Sie von Maurice Pialat für ihren ersten Film „Auf das was wir lieben“ entdeckt. Sie spielen darin ein junges Mädchen, das sich von einem Liebesabenteuer ins nächste stürzt, um der Tristesse ihres Elternhauses zu entkommen. Wie ist es zu diese Entdeckung gekommen und was bedeutete diese für Sie?“
SB: „Eigentlich war es purer Zufall. Pialat suchte eine junge Schauspielerin für sein Filmprojekt. Ich wollte gar nicht Schauspielerin werden, aber meine Schwester hatte diesen Wunsch. Ich begleitete sie, und mit vielen anderen Mädchen nahmen wir am Vorsprechen teil. Und siehe da: Er wollte nicht meine Schwester, sondern mich! Die Rolle fiel mir dann ganz leicht, denn die Story des Films war meine eigene Geschichte, ich brauchte nur mich selbst zu verkörpern. Zudem legte Pialat viel Wert auf Natürlichkeit, der Film sollte wie das Leben sein. Das hat es mir einfach gemacht, das Ganze war für mich wie ein Spiel.“
RN: „Sie haben mit berühmten Regisseuren, z.B. Agnes Varda, Sautet, Lelouche, Rivette, Chabrol, de Palma, zusammengearbeitet. An welchen Regisseur haben Sie die intensivste Erinnerung?“
SB: „Manchmal ist es gar nicht so sehr der Regisseur, an den man sich erinnert, sondern der Charakter der Figur. Viele Regisseure waren wichtig für mich – Varda, Chabrol – aber der wichtigste war doch Maurice Pialat. Er war sehr stark, mutig, hat mir den Weg ins Kino geebnet und mir ermöglicht, dort zu bleiben.“ (Anm: Für „Auf das was wir lieben“ bekam Bonnaire einen César als beste Nachwuchsschauspielerin. Mit Pialat drehte sie noch zwei weitere Filme.)
RN: „Ihre erste Regiearbeit ist ein Dokumentarfilm über ihre autistische Schwester Sabine. Was hat sie dazu bewogen, mit diesem sehr persönlichem Thema an die Öffentlichkeit zu gehen?“
SB: „Ich wollte keinen Film über die Krankheit meiner Schwester drehen, sondern Zeugnis ablegen über das System der Psychiatrie in Frankreich. Als psychisch kranker Mensch hat man dort nur die Möglichkeit, in einer Klinik zu leben – einem Ort für Kranke. Besser wäre aber eine Behandlung, die sich auf die Ressourcen und das Potenzial der Patienten konzentriert und ihnen so ein – trotz Krankheit – gutes Leben ermöglicht.“
RN: „Zweimal wurden Sie ausgezeichnet mit dem höchsten französischen Filmpreis, dem César. 1996 erhielten Sie, zusammen mit Isabelle Huppert, den Coppa Volpi der Filmfestspiele von Venedig für Chabrols „Biester“. Was bedeutet Ihnen nun die „Europa“ des Filmfestivals Braunschweig?“
SB (strahlt): „Oh, ich bin sehr stolz! Ich stehe in einer Reihe mit Hannah Schygulla, Isabelle Huppert und anderen großen Schauspielern. Außerdem macht’s auch der Zeitpunkt: Ich bekomme den Preis in meiner zweiten Lebenshälfte – wunderbar!“
RN: „Wissen Sie schon, was Sie mit dem Preisgeld anfangen werden?“
SB: „Ja, zusammen mit meiner Tochter, einer sehr guten Regisseurin, werde ich eine Produktionsfirma gründen. Starten werden wir mit Kurzfilmen, langfristig wollen wir junge Regisseurinnen und Regisseure fördern.“
RN: „Sie haben in 35 Jahren 66 Filme gedreht – harte Arbeit. Was tun sie am liebsten in ihrer Freizeit?“
SB: „ Was man als ganz normale Frau so macht: Ich kümmere mich um die Kinder, koche, gehe shoppen… Außerdem treibe ich viel Sport, liebe besonders Laufen und Tanzen. Und ich lerne gerade Gitarre.“
RN„Sie kommen aus einer Arbeiterfamilie mit 11 Kindern und haben nie eine Schauspielschule besucht. Woher kommt Ihr Talent?“
SB (lacht): „Das weiß ich auch nicht. Naja, meine Mutter ist vielleicht eine Schauspielerin, aber eine schlechte. Sie ist mutig, phantastisch und hat mich immer darin bestärkt, das Unmögliche zu versuchen, den Traum zu leben, etwas ganz Besonderes zu tun.“
RN: „Madame Bonnaire, herzlichen Dank für das Gespräch.“