Regine Nahrwold am 22. November 2018
Chorkonzert mit „Venti Voci“ in St. Magni, Braunschweig
Zum Ewigkeitssonntag war am Sonnabend in St. Magni ein ganz besonderes Konzert zu erleben: Der Chor „Venti Voci“ führte Werke von Johannes Ockeghem und Hugo Distler auf, die in Braunschweig eher nicht an der Tagesordnung sein dürften.
Johannes Ockeghem (geboren 1410-1425 im Hennegau, gestorben 1497 in Tours) bereitete mit der Entwicklung der polyphonen Satztechnik den Weg zur franko-flämischen Vokalpolyphonie, die im 16. Jahrhundert mit Orlando di Lasso und Palestrina ihren Höhepunkt fand. Seine „Missa pro defunctis“ ist eine vierstimmige Totenmesse, überliefert in einem einzigen Manuskript, dem „Codex Chigi“. Weil Teile fehlen, gilt die Messe – das erste erhaltene Requiem überhaupt – als unvollständig; Leerstellen im „Codex Chigi“ deuten aber an, dass es weitere Sätze gegeben haben könnte. Das Requiem könnte Ockeghem, der in seiner Lebenszeit drei französischen Königen als Kapellsänger und hoher Kleriker diente, anlässlich der Bestattung von Charles VII. 1461 oder nach dem Tod Louis‘ XI. 1483 geschaffen haben.
Auf den getragenen, etwas zu statisch gesungenen Introitus folgte das flehentliche „Kyrie“, in dem zum Teil die Frauenstimmen herausragten. Im „Graduale“ (Psalm 23, 4) wogten sie dramatisch auf und ab und folgten im „Tractatus“ (Psalm 42, 1-4) echoartig aufeinander, bevor Tenor und Bass einsetzten. Besonders kunstvolle Formen nahm das Geflecht der entrückt schwebenden Melodien, …
…die immer wieder unisono in den Grundton mündeten, im „Offertorium“ an, das mit einem kraftvollen „Quam olim Abrahae…“ ausklang.
Hugo Distlers (geboren 1908, Selbstmord 1942) „Totentanz“ entstand, wohl unter dem Eindruck von Heinrich Schütz‘ gleichnamiger Motettensammlung, zwischen 1934 und 1941, in einer Zeit, da einige seiner Werke als Musterbeispiele für „entartete“ Musik herhalten mussten. Er besteht aus 14 kurzen Motetten für vierstimmigen Chor a capella, nach Sprüchen aus dem „Cherubinischen Wandersmann“ des Barockdichters Angelus Silesius. Sie erklingen im Wechsel mit Dialogen, verfasst nach dem „Lübecker Totentanz“, einem Bilderzyklus von 1463 in der Marienkirche. Der Tod (Georg Renz) spricht mit Angehörigen aller Stände, Berufe und Lebensalter, vom Kaiser bis zum Bauern, mit Jungfrau, Greis und Kind. Vor jeder neuen Zwiesprache erklingt in Variationen das Volkslied „Es ist ein Schnitter, heißt der Tod“, gespielt auf verschiedenen Blockflöten (Stefanie Bucher-Pekrun). Der Chor sang seine Partien hier sehr dynamisch, packend und ausdrucksvoll, stellenweise sogar lautmalerisch, womit er Distlers am Sprachduktus orientierten Stil Rechnung trug. Wie schon bei Ockeghem war und blieb die Intonation durchweg gut.
Zwischen beiden feinfühlig miteinander kombinierten Chorwerken – Ockeghem wirkt modern, Distler bezieht sich auf alte Musik – trug Hans-Dieter Meyer-Moortgat auf der Orgel die Passacaglia c-Moll von Johann Sebastian Bach vor. Das einleitende gravitätische, mit Pedal gespielte Ostinato im Dreivierteltakt wird, nur wenige Male variiert, stetig wiederholt und von den Oberstimmen mit wachsender Komplexität umspielt, bevor seine erste Hälfte dann zum Fugenthema wird. Meyer-Moortgat spielte fein nuanciert von machtvoll bis zart und machte in seiner bewegenden Interpretation die Stimmführung transparent, auch durch die Registrierung.
Dies war das letzte Konzert von „Venti Voci“ unter der Leitung von Janis Berzins, der Braunschweig für eine neue Stelle im Kloster Loccum verlassen hat. Zugleich feierte der Chor damit sein 25jähriges Bestehen. Herzlichen Glückwunsch und weiter so, auch unter neuer Leitung von Martin Kohlmann!