Regine Nahrwold am 25. November 2018
Lesung: Robert Seethaler mit „Das Feld“ in der Buchhandlung Graff
Das Publikum in der Buchhandlung Graff sitzt fast im Dunkeln, als Robert Seethaler am Donnerstag Abend das Podium betritt. Die Verfilmung seines Buches „Der Trafikant“ ist just angelaufen. Nun liest er aus seinem neuen Roman „Das Feld“. Nur seine Leselampe spendet ein wenig schummriges Licht. „Das mit dem Licht war meine Idee“, sagt der Autor, „finden Sie das blöd?“ Er lacht. „Ich brauche die Dunkelheit als Schutz gegen die vielen Blicke. Blicke können etwas sehr Intimes sein, aber auch verletzen. Auf der Bühne [Seehofer war Schauspieler] habe ich mich immer gefühlt wie eine offene Wunde. Ich schämte mich, und Scham ist für mich ein großes Thema. Sie ist der Nebel, der einem das Herz zersetzen kann, da hilft auch keine Dunkelheit mehr.“
Das Feld – so nennen die Bewohner des kleinen Ortes Paulstadt ihren Friedhof. Dort sitzt Harry Stevens fast täglich auf einer Bank unter einer Birke. „Als junger Mann wollte er die Zeit vertreiben, später wollte er sie anhalten, und nun, da er alt war, wünschte er sich nichts sehnlicher, als sie zurückzugewinnen“. Harry vernimmt Stimmen, die Toten erzählen ihm ihre Geschichten, sprechen noch einmal zum Ehemann, zum Sohn, zur Geliebten. Da ist zum Beispiel Hanna Heim mit ihrer kleinen, verkrüppelte Hand. Bei der ersten Begegnung nahm ihr Mann diese Hand und meinte, sie sei gar nicht verkrüppelt, sondern einfach so wie die krummen Äste an einem Baum, die doch nur der Sonne entgegenwachsen. Und dann hat er sie das ganze Leben lang gehalten. „Es ist eine traurige Geschichte, aber auch eine große Liebesgeschichte“, so Seethaler, „und Traurigkeit ist die Schwester der Freude. Ich habe sie kennen- und schätzengelernt. Sie ist die in Bewegung geratene Depression, da tut sich wenigstens endlich was.“
Ein anderer Toter gibt seinem Sohn Ratschläge: Gib Dir keine Mühe, die richtige Frau zu finden, es gibt sie nicht. Gott gibt es auch nicht, aber falls doch, gibt es vielleicht auch die richtige Frau. Sie heult im Kino, denkt aber nie, nie, nie an ihre Figur. Alkohol kann helfen, und wenn Du, am Thresen sitzend, unter den Barhockern seltsame kleine Tiere herumkrabbeln siehst, trink noch einen, denn jetzt kommt es nicht mehr drauf an. Eine mit 105 Jahren Verstorbene sagt: „Ab einem gewissen Alter glaubt man, dass einem nichts mehr übrig bleibt, aber das ist ein Irrtum. Solange man lebt, gibt es immer wieder was zu tun. Sterben beendet die Sehnsucht, und wenn man still hält, tut es gar nicht weh.“ Und dann kommt ein Satz für die Ewigkeit: „Erst war ich Mensch, jetzt bin ich Welt.“
Leider steht Seethaler unter Zeitdruck. Er müsse unbedingt den letzten Zug zurück nach Berlin erwischen, denn morgen fliege er ganz früh nach Salzburg. „Ich weiß, das ist ein Luxusproblem, aber Scheiße ist es trotzdem. Jetzt frage ich Sie, was Sie noch hören wollen, und dann mache ich doch, was ich will.“ Und er will noch zwei Erzählungen lesen. Mit ihrem lapidaren Schluss ist die letzte und kürzeste vielleicht schönste: „Im Baum über mir raschelte es, und gleich darauf landete ein kleiner, weißer Scheißebatzen direkt neben mir auf der Bank. Flatsch! machte es, und in diesem Moment war mir klar: Heute wird der glücklichste Tag deines Lebens gewesen sein. Und so war es dann auch.“
Fragen wehrt der Autor ab: „Lassen Sie uns lieber noch etwas lachen! Ich weiß doch nicht, was ich antworten soll. Da drückt man sich irgendwas aus dem Herzen, und zu Hause fragt man sich dann: Was hast Du da nur geredet?“