Regine Nahrwold am 13. Januar 2019
Satirischer Jahresrückblick mit Hans-Werner Fechtel im Theater KULT
Der begeisterte Applaus seiner Fans empfängt den Sänger, Gitarristen und Braunschweiger Chronisten Hans-Werner Fechtel, der seine Heimatstadt seit Jahren mit Gedichten und eigenen Liedtexten zu bekannten Melodien ins Visier nimmt. „Ich habe nichts erlogen, die Wahrheit ist’s allein, und wer mir das nicht glauben kann, der zwacke sich ins Bein“, heißt es zum Auftakt augenzwinkernd.
Fechtel legt los mit einer Aufzählung der Titel, die Braunschweig 2018 zuteil wurden: „Die Stadt, von der aus man die Welt verändern kann“, „Das Rio des Nordens“, „Die Sonnenstadt“ – man höre und staune! Er nimmt Kosten, Inhalt und Titel der Werbekampagne „Alles da“ der Allianz für die Region Braunschweig-Wolfsburg aufs Korn – „Wenn’s so wäre, bräuchten wir ja nicht mehr ans Meer und in die Berge zu fahren!“ – und natürlich den VW-Konzern: Dort brummt der Laden wieder – Dieselskandal hin, Dieselskandal her. Sexy? Nur mit Motor! „Die größten Marktantreiber sind die fetten SUVS, die lieben alle Weiber, vor allem die des Puffs.“
Zur Melodie von Elvis Presleys „Love me tender, love me please“ singt Fechtel: „Wir wollen weiter vorne sein, vorne in der Welt…“ Er schaut auch über den lokalen Tellerrand hinaus in die Welt, zu Trump, Flüchtlingsproblematik und Pegida, aber da bleiben seine Kommentare eher allgemeine Platitüden. In seinem Element ist er, wenn er, auf dem Altstadtmarkt Cappuccino trinkend, seine Beobachtungen im Kleinen anstellt und die schönsten Blüten aus dieser Zeitung präsentiert, etwa „Rolatoren beeinträchtigen Busverkehr“ und andere Meldungen aus der Motorwelt.
Und dann erst „uns Aaantracht“! Aus „Lilli Marleen“ hat Fechtel eine Hymne auf die letzten 50 Jahre Geschichte des Vereins gemacht. Da kann man so schön mit der glorreichen deutschen Meisterschaft von 1967 beginnen, muss dann allerdings so enden: „Rote Laterne in der 3. Liga mit Ausblick in den Abgrund“. Aber: „Bleiben wir vereint, so wird’s auch wieder schön!“
Wie war es nur möglich, dass die Braunschweigerin Sarah Wipperfürth 2018 Miss Hannover wurde? Was hat ein aus EU-Mitteln zur Förderung notleidender Regionen finanzierter Elefant vor der Elmsburg zu bedeuten? Wird der Karnevalsverein seine Genderfrage lösen und den Prinzenmangel in Zukunft durch Prinzessinnen beheben, nach dem Motto „Beim Schoduwel gibt’s neben Till und Bauer getze auch viel Frauenpower“?
„Wenn ich mal OB wär’…“ (auf die Melodie von „If I were a rich man“ aus „Anatevka“) stellt Fechtel sich singend vor, dann, ja dann gäbe es mehr Kita-Plätze, günstige Wohnungen, Fahrradstraßen, und jeder Ausländer würde persönlich von ihm begrüßt. Scheint ja alles ganz einfach zu sein.
Auch die Regierung bekommt, zur Melodie des Deutschlandlieds, ihr Fett weg („GroKo, GroKo über alles, über allem steht das Geld…“), ebenso die neue Parteivorsitzende der CDU („AKK konnte sich aufgrund ihrer Ähnlichkeit mit dem Sams gegen Friedrich Merz durchsetzen, den manche für Theo Weigel halten“), der bayerische Kuzifix-Erlass („Kreuze sollen nun auch auf Dirndln und Lederhosen angebracht werden“) und das Braunschweiger Stadtmarketing („Halbwahrheiten auf Hochglanz“). Und dann erst die WM-Schmach von Kasan…
Zum Schluss ein persönliches Lied auf das Älterwerden. Fechtel beklagt, was alles nicht mehr geht, aber nur, um zu versprechen: „Bis zum Jüngsten Tage zeige ich euch, was ich noch kann!“ Nun, so lange muss es nicht währen: Seine Verse sind manchmal ganz flott, oft eher platt oder auch betulich, und nach zwei Stunden hat die Rezensentin mehr als genug vom Lokalkolorit auf diesem Niveau. Fechtels Fans dagegen verlangen sogar noch eine Zugabe.