Regine Nahrwold am 16. Januar 2019
Theater Fanferlüsch: Alan Ayckbourns „In Gedanken“ im Roten Saal
„Arbeit und Fleiß, das sind die Flügel, die führen über Strom und Hügel.“ Will man das hören von seinem Ehemann, dem man gerade eröffnet hat, dass man ihn nicht mehr liebt, weil das Leben mit ihm öde geworden und nicht nur der Sex, sondern jedes Vergnügen daraus verschwunden ist? Oh nein! Susan rollt genervt die Augen. Dabei war eben gerade alles noch so schön. Sie war in ihrem Garten aus einer Ohnmacht erwacht, nachdem sie sich selbst die Harke vor den Kopf gedonnert hatte. Doktor Bill Windsor hatte sich rührend um sie bemüht. Wieder erwacht, hielt sie ihr Gärtchen für ein Riesenreich mit Tennisplatz, Swimmingpool und einem See. Und eine imaginäre, „wahre“ Familie – Ehemann Andy, Bruder Tony und Tochter Lucy – traktierte sie mit Champagner, liebevoller Fürsorge und Bewunderung. Doch nun ist Susan wieder zurück auf dem Boden der schnöden Tatsachen: in der Ehe mit dem Pfarrer Gerald, der sie „Frauchen“ nennt, nur noch sein Buch über die Geschichte der Gemeide seit 1338 im Kopf hat und von ihr erwartet, dass sie endlich wieder aufsteht und das Mittagessen kocht. Und dann ist da noch ihre Schwägerin Muriel – missmutig, feindselig und eine miserable Köchin, macht sie Susan das Leben schwer, doch Gerald kuscht vor ihr.
Alan Ayckbourns brillante Komödie „In Gedanken“ (Woman in Mind), uraufgeführt 1985, schildert die Dinge aus der subjektiven Sicht der Protagonistin Susan, von der man nicht weiß, ob sie nun halluziniert oder sich einfach nur mit (zu) viel Phantasie ihren tristen Alltag verschönert. Das „Theater Fanferlüsch“ bringt das Stück des britischen Dramatikers nun mit Bravour auf die Bühne des „Roten Saals“ im Schloss. Realität und Susans imaginäre Welt, zunächst noch klar voneinander getrennt, beginnen allmählich, mehr und mehr miteinander zu verschmelzen, was eine nicht abreißende Folge von immer neuen, überraschenden Wendungen bewirkt. Die erste: Hüben wie drüben erwartet man Susan zum Mittagessen. Bei Andy, Tony und Lucy lockt ein opulentes Mahl, bei Gerald, Muriel und Sohn Rick droht missratenes Rührei. Da fällt die Wahl nicht schwer, und mit der Rückendeckung ihrer „wahren“ Familie schmettert Susan ihre wirkliche endlich einmal ab. Wie wird sie sich weiter entwickeln, zu welcher Lösung zwischen beiden Welten wird es kommen, fragt man sich als Zuschauer ständig. Wird Susan sich von beiden Familien emanzipieren und endlich selbständig werden? Wird sie sich mit ihrem heimlichen Bewunderer Doktor Windsor auf und davon machen? Oder landet sie womöglich doch in der Psychiatrie? Und ist sie wirklich nur zu bedauern? War sie Rick nicht auch manchmal eine garstige Mutter? Hat sie Geralds fast fertiges Manuskript wirklich nicht verbrannt? Bis zum total ausgeflippten Finale ist Ayckbourns Stück witzig und spannend. Und nicht nur das Stück, sondern auch die Inszenierung: Regie (Nicole Holzhauser), Kostüme (Sonja Wolf), Sound, Licht und Technik (Malte Krug), zum Teil auch das Spiel der Amateure kommen ganz dicht an Profi-Qualität heran. Das gilt vor allem für die facettenreiche Hauptdarstellerin (Daniela Wartusch), der die Wahlfamilie (Henry Walcyk, Wolfram Ludwig, Sümeyra Günaydin) und Doktor Windsor (Florian Henk) durchaus das Wasser reichen können. Von dem stereotypen Gerald (Chris Duwenkamp) und dem sehr steifen Rick (Leon Krug) kann man das allerdings nicht behaupten. Doch alles in allem ein großes Vergnügen, das noch vielen Zuschauerinnen und Zuschauern zu wünschen ist. Weitere Vorstellungen am 9., 10., 15., 16., 22. und 23. Februar, jeweils um 20 Uhr. Vorverkauf bei Musikalien Bartels, Online-Reservierung: www.fanferluesch.de.