Regine Nahrwold am 30. Januar 2019
Konzert: Neue Orgel in Stöckheimer Kirche
Foto: Frank Schuchardt
„Damit man etwas Neues wagt, braucht es zwei Impulse: die Liebe zu einem Traum und das Leiden am alten Zustand“, eröffnet Pfarrerin Wiltrud Becker der Gemeinde der Kirche Zum heiligen Leiden Christi in Stöckheim am Sonntag Abend. Das schmucke, 1000 Jahre alte Kirchlein ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Lange genug hatte man hier unter einer alten, furchtbar schlechten Orgel gelitten. Nun, nach insgesamt 12 Jahren, ist der Traum von einer neuen endlich wahr geworden: Domkantor Gerd-Peter Münden, der den Kirchenvorstand als Gutachter unterstützt und die neue Orgel konzipiert hat, weiht die Neuschöpfung von Florian Fay mit einem Konzert ein, das das Potenzial des Instruments voll ausschöpft und dem gespannten Publikum vor Ohren führt. Doch erst einmal freut er sich über die Entscheidung für eine traditionelle Pfeifenorgel. „Eine – zunächst mal kostengünstigere – elektronische Orgel ist immer nur so gut wie ihre Lautsprecher, sie hört sich stets nach Schallplatte, also ‚Konserve‘ an. Aber eine Pfeifenorgel bringt mit ihren eigenen Frequenzen den Raum zum Klingen. Zudem hat sie eine Lebensdauer von Hunderten von Jahren, während eine elektronische Orgel nur 15 Jahre hält; die höheren Anschaffungskosten rentieren sich also auf die Dauer. Und: Eine ‚echte‘ Orgel ist wie eine Blume: Man braucht sie nicht zum Leben, aber sie bereichert es ungemein.“
Münden beginnt mit „Passacaglia und Fuge c-moll“ von Johann Sebastian Bach. Das ist, als würde ein Bachsches Oratorium von einem Kammerorchester und -chor gespielt und gesungen, denn die Orgel ist nicht sehr groß und genau in den begrenzten (Klang)Raum der Kirche eingepasst. Jede Stimme, die nach und nach zu dem gravitätischen Bass-Thema hinzukommt, versieht Münden mit einer neuen Klangfarbe. (Bei 13 Registern beläuft sich deren Zahl rein rechnerisch auf über 8000, von denen gut 200 musikalisch sinnvoll sind). Damit schlägt der Organist zwei Fliegen mit einer Taste: es erklingt dabei der Großteil dieser 200 Farben, und die Struktur der polyphonen Musik wird durchsichtig – ein ganz besonderer Hörgenuss. Die mächtigen Schlussakkorde ertönen in beeindruckend voller Lautstärke. Das anschließende „Andante con Variationi D-Dur“ von Felix Mendelssohn-Bartholdy
mit seinem liedhaften Thema schwelgt dagegen ganz und gar in leisen Tönen. Auch kommt bei dieser romantischen Musik der Schwellkasten der Orgel zum Zuge, der die Lautstärken stufenlos an- und abschwellen lässt. Dem lässt Münden drei Stücke von englischen Komponisten folgen: die getragene „Elegie“ von Sir George Thalben-Bell (1896-1978), den melodiösen „Evensong“ von Eastorpe Martin (1882-1925), und schließlich hoppelt das weiße Kaninchen aus „Alice im Wunderland“ vorbei, vertont von Nigel Ogden (geb. 1954). Dem begeisterten Publikum führt der Domkantor zum Abschluss noch einige Spezialitäten des Instruments vor. Ein Computer speichert die Registrierung. Um Pfeifen und damit Platz zu sparen, wurden die Pfeifen mit zwei Zugängen versehen, die mit zwei verschiedenen Manualen gespielt werden. Der Spieltisch steht frei, so dass der Organist nach vorn schaut und so besser mit Gemeinde und einem Chor kommunizieren kann. Ganze Arbeit hat „Orgelfayfe“ da geleistet, „ein Handwerksbetrieb mit drei Leuten, die alle für die Orgel brennen“, so Münden. Bleibt nur, Florian Fay ist für dieses Referenzobjekt vollen Erfolg zu wünschen, und der Gemeinde eine Person, die mit Können und Freude darauf spielt.