Regine Nahrwold am 1. Februar 2019
Ausstellung „Nebenan“ von Petra Fiebig und Ilka Rautenstrauch im Kunsthaus des BBK Braunschweig
Hier ein Auszug aus meiner Rede zur Eröffnung:
„… Um die Augentäuschung zu vollenden, fehlt Fiebigs Objekten allerdings etwas Entscheidendes, nämlich die Farbe. Dadurch, dass es sich um Grisaillen handelt, bleibt uns immer bewusst, dass wir keine realen Gegenstände vor uns haben, sondern von der Künstlerin mit Karton und Bleistift geschaffene artifizielle Dinge, die sich in jedem Moment auch als solche zu erkennen geben. So geraten wir, wenn wir Fiebigs Installationen betreten, in einen eigenartigen Zwischenraum zwischen Wirklichkeit und Kunst, zwischen „als ob“ und „nein, doch nicht“, der von großem Reiz ist. Dies vor allem dort, wo die Formen der gezeichneten Dinge und die der Bildträger nicht mehr deckungsgleich, also eckig, sind, sondern sich unterscheiden, was dem Illusionismus zuwiderläuft. Auf Fiebigs Tischen stehen und liegen nicht nur ein Kofferradio, sondern – sehr witzig! – auch runde Gläser und Flaschen, Kohlrabi, Suppengemüse und Gurken in Einweckgläsern – all das auf die Seiten eines Kartonquaders gezeichnet, jeweiligen von vorn, hinten, rechts, links und oben gesehen.
„Ich möchte mich in meinen Zeichnungen bewegen können!“ Dieser Wunsch hat Petra Fiebig zu den Interieurs gebracht, und darum sucht sie stets ein Größenverhältnis von 1:1. Auch in den Zeichnungen auf Papier oder Leinwand, die Raumelemente zum Gegenstand haben wie eine Wand mit Tapete oder ein Fenster mit Gardine. Dieser Gegenstand kristallisiert sich aus den Kreuzschraffuren, für die sie Graphit- und Bleistifte in unterschiedlichen Härtegraden verwendet, jedoch nur vage heraus, so dass diese Arbeiten in einem poetischen Schwebezustand zwischen Wirklichkeit und Abstraktion verharren. Noch relativ neu ist, dass die Künstlerin diesen Zwischenraum nun auch manchmal mit realen Dingen bereichert, hier mit einem weiß angestrichenen Kittel zu einem gezeichneten Wandschränkchen mit Erste Hilfe-Utensilien.
Die Bildhauerin Ilka Rautenstrauch schafft menschliche Figuren, die sie mit der Kettensäge aus Holz herausschneidet. Oder sollte ich sagen: die Malerin Ilka Rautenstrauch? Es sind keine naturalistischen, nach dem lebenden Modell gebildete Gestalten, sondern stark stilisierte, teils farbig gefasste Halb- und Ganzfiguren, androgyn und alterslos wirkend, mit einem langen, schmalen Schädel, oft ohne Haare, dafür mit riesigen, tief sitzenden Ohren. Die Gesichter „vereinen männliche und weibliche Anteile mit einer dritten, ungewissen Komponente, die über die Gattung Mensch hinausweist: Wesen aus einer Zwischenwelt“, so die Berliner Journalistin Annette Moll. (…)
Zu den Künstlern, die für Rautenstrauch bedeutend sind, zählt der zeitgenössische japanische Bildhauer Katsura Funakoshi, der ebenfalls mit Holz arbeitet und große Sorgfalt auf die farbige Oberfläche seiner Plastiken verwendet; manche seiner Figuren erinnern an die klaren, strengen Skulpturen der Frührenaissance, andere wiederum sind surrealistisch verfremdet. Solche Verfremdungen findet man auch bei Rautenstrauch, etwa den Mann mit nur einer Brusthälfte, einen Kopf ohne Mund oder das Wesen, dessen Kopf ohne Körper und Arme direkt auf den Beinen sitzt. Ferner bewundert die Künstlerin den deutschen Maler Hans Holbein d.J. (1. Hälfte 16. Jhdt.), besonders dessen klassische Malerei mit Eitempera. Dass die Bildhauerin von dem alten Meister fasziniert ist, versteht man sehr gut, sind doch dessen Figuren einerseits ausgesprochen plastisch, z.B. sein Braunschweiger Kaufmann Cyriakus Kale im HAUM, den Ilka Rautenstrauch, hier aufgewachsen, natürlich sehr gut kennt. Andererseits bewundert sie Holbeins feine Eitempera-Malerei, insbesondere sein Inkarnat, das Gesichter und Hände der Portraitierten aus der oft dunkelfarbigen Kleidung und Umgebung herausleuchten lässt. Diese traditionelle Malerei hat ihr übrigens vor gut drei Jahrzehnten die Malerin Fridrun Kuhle, damals Galeristin des BBK, beigebracht; sie setzt eine besondere Form der Grundierung voraus, bei der mehrere Schichten Leim und Gips übereinanderliegen. Diese Technik benutzt Rautenstrauch heute für die farbige Fassung ihrer Figuren. Deren Oberflächen, an denen oft die Maserung des Holzes sehr schön zur Geltung kommt, sind glatt poliert, wirken weich und zart. Die Maserung macht uns die Verwandlung des natürlichen Materials in Kunst bewusst und erinnert, umgekehrt, angesichts des Kunstwerks zurück an das rohe Holz, aus dem dieses entstanden ist.
In ähnlicher Weise führen uns an Fiebigs Arbeiten – trotz ihrer illusionistischer Wirkung – das Material Karton und das Netzwerk der abstrakten, grauen Linien darauf stets deren Kunstcharakter vor Augen. Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass die Werke der Zeichnerin und die der Bildhauerin in dieser Ausstellung so gut miteinander harmonieren.“