Regine Nahrwold am 8. Februar 2019
Konzert: Agnes Kauer in Havanna
Am Heiligabend 2017 klingelt bei Alina Orraca in Havanna das Telefon. Die Anruferin ist die Musikerin Agnes Kauer aus Dettum bei Wolfenbüttel: „Hallo Alina, hier ist Agi, weißt Du noch, wer ich bin?“ Ein freudiger Aufschrei am anderen Ende der Leitung: „Aber Agi, wie sollte ich das denn nicht wissen!“ 1979 haben sich die beiden Frauen auf Kuba zuletzt gesehen, nun, nach fast 40 Jahren, sprechen sie eine Stunde miteinander. Am Schluss fragt Alina: „Hast Du nicht Lust, zu kommen und hier ein Konzert zu leiten?“ Oh ja, Agnes Kauer hatte! Am 1. Dezember 2018 erhebt sie in der Basilica Menor des ehemaligen Franziskanerklosters in Havanna den Taktstock zum Konzert anlässlich eines 50jährigen Jubiläums: 1968 landete die gebürtige Ungarin in Havanna, 24 Jahre alt, das Diplom als Chorleiterin und Klavierlehrerin der Budapester Musikhochschule just in der Tasche. An der Escuela Nacional de Arte unterrichtete sie 16jährige Mädchen in Chorleitung, darunter Alina Orraca, heute 66 Jahre alt und Leiterin der „Schola Cantorum Coralina“, eines der angesehensten Chöre Kubas. Bei dem Konzert am 1. Dezember 2017 ist er dabei, mit Stücken von Rheinberger, Mendelssohn-Bartholdy und einem Spiritual. Ferner die ehemaligen Schülerinnen Argelia Fragoso, heute eine berühmte Sängerin, María Felizia Pérez mit dem Kammerchor „Exaudi“, Zenaida Romeu mit der „Camerata Romeu“ und Leonor Suadrez Dulzaides mit der „Camerata Vocale Sine Nomine“. Über dieses achtköpfige Männerensemble begeistert sich Kauer: „Das ist a capella-Gesang vom Feinsten, genau so gut wie die King’s Singers oder Amarcord!“ Und sie schwärmt von Zenaida Romeu, der ersten (von ihr) ausgebildeten Dirigentin Lateinamerikas, und ihrem reinen Frauenorchester, das mit ebenso viel Präzision wie Gefühl die komplexesten Rhythmen spielt, gezupft und geklopft auf Geigen, Celli und Kontrabass. Aufnahmen all dieser Chöre und Orchester, die sowohl traditionelle europäische Musik als auch Folklore und zeitgenössische Komponisten Kubas aufführen, findet man im Internet. Sie bezeugen deren hohes Niveau von internationalem Rang.
Ihr großes Jubiläums-Konzert in Havanna – im Publikum der deutsche und der ungarische Botschafter – beschließt Agnes Kauer mit dem „Requiem“ von Gabriel Fauré. 70 Sängerinnen und Sänger stehen auf der Bühne – gewissermaßen ihre musikalischen Enkelkinder. Sie erhält die höchste Auszeichnung Kubas, und es gibt ein rauschendes Fest mit einer gewaltigen Torte – im bitter armen Kuba etwas ganz Besonderes: „Es gibt für die normale Bevölkerung kaum etwas zu essen, die Läden sind fast leer“, so Kauer, „doch die vielen hervorragenden Künstler und Musiker dort tanzen und singen ihre Probleme einfach weg!“ Sie ist stolz und glücklich, dass ihre zehnjährige Arbeit auf Kuba solch schöne Früchte getragen hat.
1979 kehrte Kauer nach Budapest zurück, 1985 kam sie nach Braunschweig – der Liebe wegen. Hier wirkte sie als Musiklehrerin an der Christophorusschule und gründete die Chöre „Sine Nomine“ (1987) und „Venti Voci“ (1995), mit denen sie große Erfolge feierte. Die temperamentvolle Ungarin ist Vollblutmusikerin mit Leib und Seele. Noch heute, im Ruhestand, leitet sie vier Chöre, darunter das Frauensextett „Cantiamo“, in dem sie selbst mitsingt, und ein Ensemble von sechs Mädchen zwischen 7 und 14 Jahren, die bereits dreistimmig singen. „Ich kann noch so müde sein“, sagt sie, „sobald ich die Probe beginne, bin ich quicklebendig!“