Regine Nahrwold am 7. März 2019
Ausstellung: „Papierorchester“ von Pierre Bastien im Allgemeinen Konsumverein
Es lässt sich beschreiben, bezeichnen, bedrucken, falten, schneiden und knüllen. Es hüllt ein, wischt weg, polstert aus, kann zart oder hart sein, zu Kleidung oder Mobiliar werden. Und nun macht es auch noch Musik: Papier. Im Allgemeinen Konsumverein, der dieses Jahr sein 20. Jubiläum feiert, hat der international renommierte Komponist und Multi-Instrumentalist Pierre Bastien, geboren in Paris und heute in Rotterdam lebend, sein Papierorchester aufgebaut.
Mehrere Tamburine fungieren als Instrumente und gleichzeitig als Leuchtkörper, im abgedunkelten Ausstellungsraum erstrahlen sie in warmem Orange; Papierstreifen mit einem kleinen Metallstück zappeln auf den Membranen und erzeugen schnarrende Trommeltöne. Dann springen, eins nach dem anderen, Geräte an, die, von einer Lampe erhellt, ein weißes DIN A 4-Blatt geräuschvoll aufflattern lassen. Hier trompetet ein Ensemble von Tröten, dort schlackert eine lange Papierbahn und wirft ihren Schatten als Wellenlinie an die Wand, da raschelt, rattert, knattert es mal laut, mal leise… Mit der Zeit schälen sich rhythmisch wiederkehrende Abläufe dieser poetischen Maschinerie heraus, die Augen und Ohren gleichermaßen verzaubert.
Die Initialzündung zu seiner Kunst verdankt Bastien – zwei Pfannkuchen! An einem Tag des Jahres 1968 saß der 15jährige – an seiner Schule wurde gerade gestreikt – zu Hause und übte Gitarre. Das Ticken seines Metronoms nervte ihn. Irgendwann ging er in die Küche, buk zwei Pfannkuchen – und haute sie dem Gerät um die Ohren. „Plötzlich wurde aus dem Tick-Tick ein shpling-bonk, shpling-bonk, was sich großartig anhörte. Ich spielte damit herum und machte eine Aufnahme. Rebellion lag in der Luft, in den Straßen tobte ein Aufruhr gegen de Gaulle – und ich kämpfte mit meinem Metronom.“ Das war der Beginn eines erstaunlichen Werdegangs als Maschinenmusiker. Bastien, der Literatur an der Pariser Sorbonne studierte und anfänglich in verschiedenen Bands spielte, baute 1977 seine erste Musikmaschine. In den nächsten zehn Jahren entwickelte er die Idee eines mechanischen Orchesters kontinuierlich weiter und baute sich sein eigenes. Das elektrisch betriebene Mechanium ist ein Ensemble von vielen Automaten, die Instrumente aus aller Welt spielen. Es wuchs und wucherte, umfasste schließlich 80 Elemente und nahm an Musikfestivals und Kunstausstellungen in aller Welt teil. In den letzten Jahren arbeitete Bastien unter anderem mit dem Videokünstler Pierrick Sorin, dem Modedesigner Issey Miyake, dem britischen Sänger und Komponisten Robert Wyatt sowie der Trottola circus company zusammen. Schön, dass er einen Abstecher nach Braunschweig gemacht hat, um dem Allgemeinen Konsumverein zu dessen Schwerpunkt Klangkunst eine neue Facette hinzuzufügen – zum Vergnügen des Publikums. (Bis 4. April, Hinter Liebfrauen 2, Öffnungszeiten: donnerstags von 18.00 bis 22.00 Uhr, Samstag und Sonntag von 14.00 bis 18.00 Uhr)