Regine Nahrwold am 31. März 2019
Ausstellung „meta“ von Elke Lennartz im Kunstförderverein Schöningen
Auszug aus meiner Rede zur Eröffnung:
Elke Lennartz nimmt ihren Ausgangspunkt immer vom Material und ist darin ganz und gar zeitgenössisch-modern. Das beliebig Formbare, das den Künstlern zur Zeit der Industrialisierung als „charakterlos-neutral“ und „anorganisch-strukturlos“ (Monika Wagner) galt, ist für sie eine Quelle der Inspiration: „Der Kunststoff reizt mich, weil er sehr vielfältig ist und ich alles daraus machen, ihn immer wieder verändern kann.“ Sie arbeitet mit Kunststoffstanzresten aus der Industrie, Gitter, die sie erhitzt und verformt bis die endgültige Gestalt gefunden ist. Dann wird das Gitter mit dünner Gaze umspannt, die Gaze mit vielen Leimschichten gehärtet, so dass gebogene Flächen entstehen, die schließlich ein- oder zweifarbig bemalt werden. Dabei interessieren Elke Lennartz formale Fragen von konvexen und konkaven Wölbungen, von Fläche kontra Linie, von rund und eckig, von fließenden Bewegungen, von Vor- und Rücksprüngen, des Umschließens von Raum oder von Ausgriffen in den Raum hinein, des Stehens und Aufragens, des Liegens oder Herabhängens. Jede Arbeit zeichnet sich durch eine Offenheit aus, die Lebendigkeit ausstrahlt und die Plastiken atmen lässt. Eine andere schöne Eigenschaft ist ihre Leichtigkeit und Schwerelosigkeit.
Jede Plastik ist eine Individualität für sich, mit einem die Phantasie anregenden Namen, oft aus der griechischen Mythologie. Die dunkelrote hier, eine Raum umschließende Nische mit kecker Spitze, knickt in der „Hüfte“ tänzerisch ein und heißt wohl deswegen „Torso“. Die grüne mit dem Gitter oben ist „Nabucco“. Die kapriziöse türkisblaue, die mehr vor ihrem Sockel schwebt als auf ihm ruht, ist eine „Sylphe“; Sylphen sind Naturgeister, sie sind dem Element Luft zugeordnet und ein Beispiel für die Spiritualisierung von Materie. Die da in Yves Klein-Ultramarin erstrahlt, ist „Nike“, die Siegesgöttin. Es gibt auch „Eris“, die Göttin der Zwietracht, „Megaira“, eine Rachegöttin, „Nyx“, die Nacht und „Hypnos“, der Schlaf. Die Folge von drei tiefschwarzen Wandplastiken sind die „Traumdämonen“, mit denen sich die Künstlerin von ihren Albträumen befreien wollte. Die hängende Arbeit im Raum nebenan heißt „Lethe“ nach einem der Flüsse im Hades, der Unterwelt. Aus diesem Fluss des Vergessens mussten die Seelen trinken, damit sie sich nicht mehr an ihr vergangenes Leben erinnerten, um wiedergeboren zu werden. Wie es in der „Aeneis“ von Vergil heißt: „Die Seelen nun, denen das Fatum andere Leiber bestimmt, / schöpfen aus Lethes Welle heiteres Nass, so trinken sie langes Vergessen.“ Die einzelnen, sanft schaukelnden Elemente dieser Arbeit, aus schmalen Bändern raumgreifend geformt, symbolisieren die Wellen des Flusses und zugleich das Aufblitzen, Vorübergleiten und Entschwinden der Gedanken. So eröffnen die Namen über das rein Formale der Figuren noch eine andere, eine „meta“-Ebene voller Poesie und Bedeutung.