Regine Nahrwold am 12. Mai 2019
Ausstellung „Color Scapes“ von Anja Warzecha im Kunstverein Wolfenbüttel
„Flyt“ (Ausschnitt)
Gebirge, Meer, Himmel, Bäume und Pflanzen – eigentlich ist alles da auf dem riesigen Gemälde „Flyt“ von Anja Warzecha, das mit seinen 2,20 x 5,40 Metern einen Raum des Kunstvereins Wolfenbüttel diagonal durchmisst und ausfüllt. Und doch zögert man fast, das Bild eine Landschaft zu nennen. Die pyramidalen Berge wirken wie am Reißbrett konstruiert und dann teilweise mit Planen verhängt. Das Meer besteht aus gegeneinander versetzten Flächen in einem Azurblau, das nach oben ins Weiße ausläuft. An den Zweigen der Pflanzen reiht sich säuberlich eine Nadel an die andere, große Blätter und Palmwedel erscheinen wie aus Pappe gefaltet und angemalt. Dazwischen ragen Röhren und Stangen steif und kerzengerade in die Höhe. Sehr künstlich mutet das alles an, mit den Farben Grau, Braun, Grün, Blau auch ein bisschen kubistisch, irgendwie unwirklich und wie aus düsteren Traumbildern zusammengeschnitten. Und genau das macht die Sache spannend.
„Stratorama“
Mit der Einzelausstellung „Color Scapes“ von Anja Warzecha (geb. 1989 in Bochum) präsentiert der Kunstverein Wolfenbüttel eine junge Malerin, die den sie umgebenden Raum in seine einzelnen landschaftliche und architektonische Elemente zergliedert und diese dann collageartig wieder zusammenfügt. Das neue Bild weist dann Brüche und Sprünge auf, wie ein Film, dessen Kontinuität die Cutterin durch das Verbinden unpassender Sequenzen unterbrochen hat. Diese Assoziation ruft jedenfalls „Flyt“ (2017) herbei,
wo sich diese Kontinuität von links nach rechts entwickelt, über einen Malgrund hinweg, der aus mehreren hochrechteckigen Flächen gebildet wird. Da nimmt es nicht Wunder, dass Warzecha mit dem Werk „Stratorama“ (2016) auch in die dritte Dimension eingestiegen ist, den Raum in verschiedene Pläne aufgedröselt und diese wie in einer Theaterkulisse hintereinandergestaffelt hat. „Heimspielen“ schließlich, die dritte Arbeit, türmt große Würfel, auf denen Hausfassaden und Fensterfronten abgebildet sind, übereinander. Die Besucher dürfen sie in spielerischer Auseinandersetzung immer wieder neu kombinieren.
Die Künstlerin, die 2008 bis 2014 an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle bei Ute Pleuger Malerei studierte und nach ihrem Diplom (mit Auszeichnung) ein Stipendium nach dem anderen kassierte, ist oft auf Reisen, war schon für jeweils mehrere Monate in Kathmandu, Nepal, in Istanbul und auf Taiwan. Aus ihren dabei gemachten Beobachtungen und Erfahrungen von urbanen oder ländlichen Strukturen, von Traditionen und architektonischen Besonderheiten, erschafft sie spielerisch phantastische Parallelwelten. Eine Serie von 2019 auf Taiwan entstandenen kleinen Zeichnungen (Fineliner auf altem, farbigen Papier) ergänzt die drei großen Arbeiten wunderbar. (Bis 2.6., Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstraße 1, 38300 Wolfenbüttel, Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 16–18 Uhr, Samstag und Sonntag 11–13 Uhr)