Regine Nahrwold am 10. Juli 2019
Ausstellung: Nevin Aladag im Mönchehaus Museum Goslar
„Makramé“, 2017
Sie verbinde gedankliche Komplexität mit Sinnlichkeit und habe „keine Angst vor Schönheit“, so Bettina Ruhrberg, Direktorin des Mönchehaus Museums in Goslar, über Nevin Aladag. Die 1972 geborene Künstlerin gehört zu den wenigen Frauen, die auf der Documenta 2017 sowohl in Kassel als auch in Athen vertreten waren. Im gleichen Jahr präsentierte sie sich in Venedig auf der Biennale und wurde mit dem Ernst Rietschel-Kunstpreis für Skulptur, Dresden, geehrt. Seitdem „boomt“ die deutsche Künstlerin mit türkischen Wurzeln, die in München bei Olaf Metzel Bildhauerei studierte und heute in Berlin lebt. Eine repräsentative Auswahl ihrer Werke seit 2015 zeigt nun das Mönchehaus Museum in Goslar.
Aus der Serie „Jali“, 2019
Aladags multimediales Werk (Skulptur, Performance, Video) dreht sich um Fragen kultureller und sozialer Identität, um Interaktions- und Transformationsprozesse in einem Alltag, der von unterschiedlichsten sozialen und ethnischen Communities geprägt ist. Mit Musik, Tanz und Spiel erweitert sie dabei den Raum der Skulptur in den öffentlichen Raum und in den Klangraum hinein. Oft nutzt sie die kulturelle oder politische Konnotation von Dingen des alltäglichen Gebrauch, von Materialien und Ornamenten, etwa in den neuesten Keramiken der Serie „Jali“ oder in den „social fabrics“. Letztere sind Patchworks aus verschiedensten Teppichstücken, die unsere diversitäre Gesellschaft widerspiegeln. Aladag nennt sie auch „skulpturale Malerei“ und sagt: „Ich komme von der klassischen Bildhauerei her, mich interessieren Form und Formschönheit. Ich versuche, meine eigenen Formensprache zu finden.“
Aus der Serie „Social Fabrics“, 2018
“Makramé, current flow 1″ (2017), hergestellt in der orientalischen Knüpftechnik, die einst von Kreuzrittern und Mauren nach Europa eingeführt wurde, hängt an einem langen Kupferstab von der Decke herab. Der Witz daran: Aladag hat hier Kabel für Strom, Lautsprecher, LAN und Telefon verarbeitet und so eine sinnfällige Metapher für gesellschaftliche Vernetzung, Kommunikation und ihre Technologien geschaffen. Die Sperrigkeit der Kabel bezwungen zu haben, stelle dabei die bildhauerische Komponente dieser konzeptuellen Arbeit dar, so die Künstlerin selbst. Und: Das Material Kupfer sei so etwas wie ein Leitmotiv durch ihre Ausstellung. In „Makramé“ wegen seiner Leitfähigkeit bedeutsam, wird es bei den Musikobjekten, die Aladag eigens für das Mönchehaus Museum geschaffen hat, zum Klangkörper: blitzblanke Kupfertöpfe, darunter auch ein Mokka-Kochpöttchen, wurden zu Perkussionsinstrumenten umfunktioniert, die Deckel mit alten, matt glänzenden Glocken in ein Schellengeläut verwandelt, das die Ausstellungsbesucher zum Klingen bringen dürfen.
Lid Cymbals 3 (Music Room), 2019
Als formbares Material und wegen des Bezugs zum Dach spielten dünne quadratische Kupferplatten eine zentrale Rolle bei der Performance „Raise The Roof“, die auf der Biennale in Venedig 2017 stattfand. Sieben Frauen punzierten mit den Absätzen ihrer Stöckelschuhe diese Platten, indem sie zu verschiedenen Songs darauf tanzten. Die Titel der Lieder waren auf den T-Shirts der Tänzerinnen zu lesen, doch hörte das Publikum statt der Songs nur das verstärkte rythmische Klackern der Absätze auf dem Metall. Neben dem Video sind in Goslar drei dieser Reliefs mit den Abdrücken zu sehen, die sich in gleißendem Licht dem Betrachter entgegenwölben. (Diese Performance tanzte Aladag ursprünglich selbst auf einem Stück Papier als Dancefloor in ihrem Atelier. Zum ersten Mal tanzen ließ sie „Raise The Roof“ 2007 in Berlin-Treptow, auf Teerpappe auf dem Dach eines Hauses, das genau auf der Grenze zwischen Ost und West steht.) (Bis 1.9., Mönchehaus Museum, 38640 Goslar, Mönchestraße 1, Öffnungszeiten: Di bis So, 11-17 Uhr)
„Raise the Roof“, 2017