Regine Nahrwold am 11. Juli 2019
Ausstellung „Folia“ von Odine Lang in der Herzog August Bibliothek
Ein Zweig mit langen, schmalen Blättern schwebt unter der Decke der Augusteerhalle, geradewegs in den Bücherhimmel hinein. Stengel und Blätter des Zweigs, ein stark vergrößertes Wolfsmilchgewächs, sind natürlich – wie könnte es anders sein? – aus Papier. Wie auch die Bücher in den umgebenden Regalen, werden die Blätter nach oben immer kleiner. Der Zweig ist das größte und auffallendste Werk der Ausstellung „Folia“ von Odine Lang in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Die Künstlerin (geb. 1972), die heute in Kohlscheid bei Aachen lebt, hat an der HBK Braunschweig studiert, war dort Lehrbeauftragte und ist unter anderem Dozentin an der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel.
Der Titel „Folia“ („Blätter“) verweist zum einen auf das Naturstudium, das die Künstlerin von Anfang an betreibt, im Medium der Graphik, aber auch mit Objekten bis hin zu großen raumbezogenen Arbeiten, Installationen und Landart. Zum anderen spielt er auf Papierseiten, die Blätter der Bücher, an, und auf die nimmt Lang hier Bezug: Einige ihrer Arbeiten haben sich zu den historischen Exponaten der Ausstellung „Ausdrucksvoll. Streifzüge durch die Buchgeschichte“ in der Augusteerhalle gesellt. „Gemma“ z.B., ein Objekt aus Eisendraht, Japanpapier, Schellack und Buchbinderzwirn liegt in einer Vitrine neben einem Folianten aus dem 16. Jahrhundert. Die Form von „Gemma“…
… erinnert an die Blüten der Lampionblume, mit fünf blütenblatt-ähnlichen Spitzen, die in einer Art Blütenkelch verbunden sind. Wie Buchdeckel kann man diese Spitzen aufklappen. Ähnlich in Form und Materialien ist der „Zachte Vleughel“, ein Flügel also, der sanft, mild, zart, lind, leise ist. Das schöne niederländische Adjektiv „zacht“ mit seinen vielen Bedeutungen charakterisiert dabei die Kunst von Odine Lang schlechthin.
Den größten Teil der Ausstellung machen freilich Langs Künstlerbücher aus, von denen etliche im Besitz der Bibliothek sind. Zusammen mit Zeichnungen, Druckgraphik und Objekten wurden mit ihnen mehrere feine Vitrinen gestaltet. Da liegt etwa das Kleine Küchenherbarium aus, das acht Linolschnitte von heimischen Küchenkäutern enthält. Gedruckt wurden diese auf Küchenkrepp, und gebunden ist das Büchlein in ein zitronengelbes Vlies-Bodentuch. Der Kodex „Semele“ führt in acht Linolschnitten das fiktive Wachstum einer Weinrebe vor. Das Leporello „8 Minutes“ umfasst acht lineare Bleistiftzeichnungen von Pflanzen, die in einer Minute entstanden sind, manche von ihnen brechen unvollendet ab. Eine wunderbare Entdeckungsreise durch eine ganz besondere Welt der Bücher und Blätter. (Bis 4. 8., Herzog August Bibliothek, Lessingpl. 1, 38304 Wolfenbüttel, Öffnungszeiten: Di bis So, 10 – 17 Uhr)