Regine Nahrwold am 22. September 2019
Ausstellung: Barbara Kruger im Mönchehausmuseum Goslar
„Never enough“: Die riesigen Versalien des Schriftzuges – Schrifttype „Helvetica condensed“ in Grün und Schwarz – scheinen das altehrwürdige Fachwerk des Mönchehausmuseums in Goslar förmlich auseinanderzusprengen. „Nie genug“ – das ist das Motto gieriger Banker, die mit Cum-Ex-Geschäften den Staat um Milliarden betrügen oder jener Großkonzerne, die für Soja- und Palmölplantagen den Regenwald abholzen. Gestern prangte die Wortfolge über dem Tag, an dem in Deutschland in über 575 Orten hunderttausende Menschen für den Erhalt des Klimas demonstrierten. Die Amerikanerin Barbara Kruger, die heute für ihr Lebenswerk mit dem Goslarer Kaiserring ausgezeichnet wird, dürfte sich über dieses Zusammentreffen sehr gefreut haben. Die politisch engagierte Künstlerin hat das Schriftbild eigens für ihre Ausstellung im Mönchehausmuseum geschaffen. „Ich will, dass meine Arbeiten einen visuellen Beitrag zu den Diskussionen liefern, die bestimmen, wie wir leben“, sagt die 74jährige, die seit über 40 Jahren untersucht, welche Machtstrukturen unsere Gesellschaft durchdringen, und das provokant, konsumkritisch und feministisch.
Nach einem Designstudium arbeitete Kruger in den 1970er Jahren als Bildredakteurin für die Modezeitschrift „Mademoiselle“, den „Esquire“ und das Magazin „House and Garden“. Die dabei erlernten Werbestrategien stellte sie in ihren Arbeiten in den Dienst der Aufklärung. Sie beherrscht die Kunst, Komplexes nach der Devise „reduce to the maximum“ schlagwortartig auf den Punkt zu bringen, konzeptuell-miminalistisch umzusetzen und dem Publikum durch Wiederholung einzuschärfen. Kein Spruch kann das besser verdeutlichen als das geniale „I shop therefore I am“ (Ich kaufe, also bin ich – sehr frei nach Descartes), gedruckt auf eine simple Einkaufstüte aus Papier. Doch auch vor existentiellen Fragen scheut Kruger nicht zurück: Muss ich mich aufgeben, damit Du mich liebst? Ist blinder Idealismus reaktionär? Wenn Du so erfolgreich bist, warum denkst Du dann, Du bist ein Fake? So ist es auf Magazinseiten und Schriftbildern in der Ausstellung zu lesen. Das ist etwas kopflastig, spröde und schnell erfasst, ins Sinnieren gerät man aber doch. Besonders heute, wo populistische Strategien wieder Konjunktur haben, gibt Krugers Dialektik von Komplexität und Einfachheit zu denken.
Mehr fürs Auge gibt eine Serie von Fotoarbeiten her, bei der Kruger Schwarzweißaufnahmen von Fotomodellen aus der Zeitschrift „Dazed and Confused“ mit Textblöcken – weiße Schrift auf rotem Grund – versehen hat, eigene Kommentare, die Mode, Berühmtheit und Hip-Sein gegen den Strich bürsten. Für die Stadt Goslar hat sie zudem noch eine besondere Arbeit geschaffen: Auf dem Marktplatz, genau gegenüber des Rathauses wurde eine Frage des französischen Philosophen Roland Barthes angebracht, nämlich „Wer wird die Geschichte der Tränen aufschreiben?“ Der Goslarer Oberbürgermeister hat das Schriftbild von seinem Büro aus im Blick. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. (Bis 26.1.2020, Mönchehausmuseum, Mönchestraße 1, 38640 Goslar, Öffnungszeiten: Di bis So, 11-17 Uhr)