Regine Nahrwold am 22. Oktober 2019
Auftakt zum Figurentheater-Festival „Weitblick“ im Theater Fadenschein
Die Unwirklichen sind gelandet. Am Samstag Abend im Hof des Theaters Fadenschein, wo das 6. Figurenfestival „Weitblick“ beginnt, haben sie zwei Buden aufgebaut. Die eine: eine weiße Küche, in der alle Gerätschaften, hübsch ordentlich sortiert, ihres Einsatzes harren. Die andere: ein Traum in Rosarot, irgendwo zwischen Boudoir und Handarbeitsgeschäft, vollgestopft mit Kleidern, Unterwäsche, Wollknäueln, Herzen und roten Glühbirnen. Und da kommen ja schon die Bewohner: Eine Art griesgrämig dreinschauender Hund mit Kochmütze beginnt, in der Küche mit Töpfen, Pfannen, Kesseln, Kuchenformen, mit Sieben, Kellen und Reagenzgläsern zu hantieren. Seine Backmischung würzt er aus einer quietschenden Pfeffermühle, rührt sie mit einem mechanischen Mixer durch und beäugt sie durch ein Lorgnon. Ab damit in den Ofen. Doch der beginnt, gewaltig zu qualmen, und das Gebäck – eine Speise, die in jedem Esser Begeisterung und Leidenschaft entfacht – muss erst mit der Feile bearbeitet werden, ehe es dem Publikum in kleinsten Häppchen zum Probieren gereicht wird.
Foto: Klaus G. Kohn
Gegenüber machen sich derweil die Herzflickerinnen ans Werk. Spitze Schnauzen ragen aus ihren Hauben, sie klimpern viel mit ihren überlangen Wimpern. Sind sie Ratten? Igel? Vögel? Aus einem Volantrock und einer Pumphose schauen die bestrumpften Beine hervor, gar zierlich trippeln beide auf hohen Absätzen einher. Viel Stoff, viel Plüsch, viel Rüschen und Blumen umgeben sie. Liebevoll nehmen sich die beiden Wesen der gebrochenen und zerrissenen Herzen an, die auf Reparatur warten, nähen, flicken, stopfen sie und verschenken Herzchen an die Zuschauer.
Diese Schau der Gruppe „Les Irreels“ aus Frankreich
bildete den zauberhaften Auftakt zum 6. Weitblick Festival, das dieses Mal 20 Inszenierungen aus 13 Ländern, insgesamt 45 Veranstaltungen, bietet. Anschließend im Saal die offizielle Eröffnung durch Fadenschein-Leiterin Hanne Scharnhorst. Sie nutzte den Augenblick, mit einer kleinen Performance die Staffette an ihre jungen Mitarbeiterinnen Alba Marina Scharnhorst und Miriam Paul weiterzureichen. Für die Weitblick fördernde Stadt Braunschweig sprach Frau Dr. Anette Boldt-Stülzebach. Stellvertretend für alle unterstützenden Stiftungen sollte eigentlich Axel Richter von der „Braunschweigischen Stiftung“ das Wort ergreifen. Er ließ sich jedoch von Till Eulenspiegel vertreten, der dieser Aufgabe nur unwillig und sehr widerborstig nachkam.
Foto: Klaus G. Kohn