Regine Nahrwold am 10. Dezember 2019
Lesung von Oskar Ansull bei „Buch & Kunst“
„Aber wie in einem kleinen Wasserglas eine ganze Welt wunderlicher Tierchen enthalten ist, die ebensosehr von der Allmacht Gottes zeugen wie die größten Bestien: so enthält der kleinste Musenalmanach zuweilen eine Unzahl Dichterlinge, die dem stillen Forscher ebenso interessant dünken wie die größten Elefanten der Literatur.“ Ein solcher Forscher, von dem Heinrich Heine in „Die romantische Schule“ schreibt, ist der Berliner Schriftsteller Oskar Ansull. Zum Musenalmanach sind ihm Land und Stadt Celle geworden, wo er geboren und aufgewachsen ist. Dieses hat er in achtjähriger Recherche- und Schreibarbeit einer „literarischen Sichtung“ unterzogen, deren Ergebnis nun unter dem Titel „Heimat schöne Fremde“ im Wehrhahn Verlag erschienen ist. Die 1000 Seiten sind eine unerschöpfliche Fundgrube für literarische Persönlichkeiten, die in Celle gelebt, es besucht, durchreist, erwähnt oder Kontakte dorthin gepflegt haben. Schon Hans Pleschinksi, Verfasser des Romans „Der Holzvulkan“ über Herzog Anton Ulrich und sein Schloss Salzdahlum, wollte als Kind meistens in London oder Celle wohnen und stellte fest: „Wer in Celle nichts sieht, sieht auch woanders nichts.“
Für seine Lesung im Antiquariat „Buch und Kunst“ am Dienstag Abend hatte Ansull aus seinem Opus Magnum Autoren aus der „Gemengelage der Hin- und Herzöge“ von Braunschweig-Lüneburg ausgewählt. Er begann…
… mit jenen Teppichen, in die 1300 bis 1330 Nonnen des Klosters Wienhausen die Sage von Tristan und Isolde hineinstickten; den schon um 1150/60 entstandenen Liebes- und Ehebruchsroman haben sie wohl durch die erste deutsche Übertragung des Eilhart von Oberge kennen gelernt, der am Hofe Heinrichs des Löwen und Kaiser Ottos IV. in Braunschweig urkundlich erwähnt ist. 1707 versteckt Herzog Anton Ulrich von Braunschweig Celle unter dem Namen „Cappadocien“ in seinem 7000-Seiten-Roman „Die römische Octavia“; dieser enthält auch die Liebesgeschichte von Solane und Aquilus, hinter denen sich niemand anders als Sophie Dorothea von Hannover, die unglückliche „Prinzessin von Ahlden“, und ihr heimlicher Geliebter Philipp von Königsmarck verbergen. (Diese beiden Liebestollen verschlüsselten Celle in ihren Briefen übrigens – verrückt! – als „illyellezilly“.)
Johann Anton Leisewitz aus Celle ließ sich 1775 als Jurist in Braunschweig nieder. Sein Theaterstück “Julius von Tarent“, noch heute ein Musterbeispiel des Sturm und Drang, hielt Lessing für ein Werk des jungen Goethe. Damit war Leisewitz in den „Braunschweiger Parnass“ aufgenommen. „Sie müssen nicht immer Lessing lesen, lesen Sie auch mal Leisewitz, das macht wirklich Spaß!“, warb Ansull und brachte eine Reihe wunderbarer Zitate. So berichtete Leisewitz von einem Brief seines Celler Freundes Thaer, „worin er mir das Waschen während der Molken- Cur untersagte, ich nahm also heute von dem Waschen zärtlich Abschied.“
Wie immer – es war Ansulls 10. Lesung bei „Buch und Kunst“ seit 1991 – brillierte der belesene Autor mit Wissen, Esprit und Witz, sein Funke der Begeisterung sprang aufs Publikum über. Ja, wir werden Leisewitz und Ansull lesen – versprochen!