Regine Nahrwold am 13. Mai 2020
Ausstellung „Pepsi Therapie“ von Max Freund im Kunstverein Wolfenbüttel
„Stoffcollagen. Textilien, überarbeitet, bemalt, bezeichnet, geschnitten, genäht, geklebt und auf Papier und Leinwand aufmontiert.“ So bringt Max Freund (geb. 1992), der von 2011 bis 2017 an der Universität für Angewandte Kunst in Wien Malerei studiert hat, seine Arbeiten auf den Punkt, die er seit Sonntag im Kunstverein Wolfenbüttel zeigt. Das ist natürlich sachlich richtig – er muss es ja schließlich wissen! – klingt aber auch etwas dröge. Doch was zu sehen ist, ist so gewitzt wie der aus zwei Worten zusammengewürfelte Titel der Ausstellung: „Pepsi Therapie“. Da hört man doch sogleich die Kohlensäure im braunen Gesöff blubbern, prickeln, zischen, und die Phantasie fängt an zu arbeiten…
Gar nicht so einfach zu beschreiben, was da im großen Ausstellungsraum eine ganze Wand bedeckt. Die Stoffe, die für gewöhnlich ganz im Hintergrund bleiben und, als Malgrund dienend, die Farben aufnehmen – Leinwand, Baumwolle, Nessel – treten hier hervor und werden selbst ein Element des Bildes. Freund verwendet verschiedene recycelte Stoffe wie Bettlaken, Plastikplanen, Handtücher und Kleidungsstücke. In verschiedenen Formen, Größen und Farben überschneiden und überlappen sie sich, hängen lose herab, werfen Schatten und Falten, wehen ein wenig im Luftzug, rollen und wellen sich wie ein Vorhang, den man am liebsten beiseite schieben möchte. Mit Malerei und Zeichnung versehen, wirkt das ganze Stoffgebilde wie viele übereinander geschichtete Bilder. Und was ist da nicht alles zu entdecken: Da ein weibliches Gesicht mit dicken, schwarzen Konturen, dort ein Liniengebilde, das an einen aufgespannten Schirm erinnert und im Bild herum“wandert“; dicke gelbe Punkte, wirre Strichknäuel, eine blaue Vase mit hellen Applikationen – Gegenständliches und abstrakte Formen wirbeln durcheinander. In eine braune Fläche ragt eine „Handtasche“ aus einem Stoff mit Grasbüschelmuster, das gleich daneben in einer vegetabilen Schwarzweiß-Zeichnung so ähnlich wieder auftaucht; unter der Tasche bunte, aquarellartige Farbflecken, so, als hätte da ein Maler – Cy Twombly? – seine Pinsel ausgestrichen. Das ist kein ehrwürdiges Gemälde, sondern ein leichte, luftige Collage, ein Provisorium, ein spontaner, ungerahmter Übergang…
„Wichtig ist mir die haptische Qualität, das Material meiner Arbeiten soll spürbar sein“, so Freund. Auch an der Übersetzung der Linie in die Malerei liegt ihm viel, dies geschieht nicht nur durch die Zeichnung, sondern auch durch Klebstreifen, Nähte und herabbaumelnde Fäden. Er zeichnet viel und schöpft aus einem Fundus visueller Kultur von Kunstgeschichte bis zum medialen Bilderpool. So ist das weibliche Gesicht – das wurde ihm erst hinterher bewusst – angelehnt an Picassos berühmte „Frau mit Hut“. Gegenständliches wird verfremdet, abstrahiert, kann die Assoziationen des Betrachters lenken, und doch bleibt alles offen.
Kuratorin Stine Hollmann, die Max Freund auf Instagram gefunden hat, fasziniert noch ein anderer Aspekt, nämlich die Nähe zu künstlerischen Phänomenen im öffentlichen Raum, zur Decollage von halb abgerissenen Plakatwänden, zu Graffiti und – bei einem Bild, das den Durchgang zwischen zwei Räumen versperrt – das sich-in-den-Weg-stellen. Alles in allem ein wunderbarer spielerischer Umgang mit Farben, Formen, Linien, Dingen und Zitaten. (Bis 17. Mai, Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstr. 1, 38300 Wolfenbüttel, Öffnungszeiten: Mi bis Fr 16–18 Uhr, Sa und So 11–13 Uhr)