Regine Nahrwold am 21. November 2020
Ausstellung von Michael Nitsche und Jürgen May in der „VitaMine“
Theater, Kinos, Museen, Kunstverein – zur Zeit alles dicht. Wirklich alles? Nein, im östlichen Ringgebiet trotz eine Galerie dem Lockdown und dem trüben Novemberwetter: die „VitaMine“ von Thorsten Stelzner. Seine geplanten Veranstaltungen musste der Kabarettist, Satiriker und neuerdings auch Sänger natürlich absagen, aber die Ausstellung „How do these boys come to be like that?“ von Michael Nitsche und Jürgen May steht und hängt.
Auf einem großen Eisbären mit maskiertem Gesicht reitet eine armlose Gestalt mit ledernem Kopf, die Augen Sehschlitze, der Mund ein lippenloser Kranz von Zähnen, die eine Glasmurmel umklammern. Ein kleines Figürchen fliegt vorneweg, zwei kindlich wirkende Puppen hängen an der Flanke des Bären. Solche Wesen zwischen Mensch und Tier, zwischen Lebendigem und Totem, zwischen Puppe und Maske, Fetisch und Mumie erschafft Michael Nitsche aus Plüschtieren, Lumpen, Draht sowie Naturmaterialien wie Leder, Fell, Knochen, Zähnen, Muscheln und Tierpräparaten. Sie lassen an Kunst- und Kultgegenstände indigener Völker, ihre Gesichter an Schrumpfköpfe denken. Letzteres kann man durchaus abstoßend finden. Dazu der Künstler selbst: „Das ‚Hässliche‘ hat eine ganz eigene Ausdrucksweise, sowohl in den Volksmärchen als auch in den Geschichten der indigenen Völker. Sie zeigt sich als eine archaische Wucht, die sich auch in meinen Wesen niederschlägt.“ Für die Serie „Schattenfänger“ von 2020 hat Nitsche seinen plastischen Arbeiten, effektvoll beleuchtet, fotografiert und diese Nahaufnahmen in Sepia auf Papier ausgedruckt. Die Objekte werden hier unscharf und verschwimmen fast in einer Vielfalt von Brauntönen, die an die Anfänge der Fotografie zurückerinnern.
An den Wänden der VitaMine wechseln diese Fotoarbeiten sich ab mit der Malerei von Jürgen May. Und das funktioniert gut, denn so wie sich in Nitsches Aufnahmen die Gegenständlichkeit beinahe ins Braun auflöst, so kristallisieren auf Mays Bildern manchmal die Farbwirbel zu etwas Gegenständlichem. Auch in ihrem esoterischen Ausdruck, der bis ins Kitschige hineinreichen kann, entsprechen sich beider Arbeiten. Anders als Nitsche hat May jedoch nicht Kunst, sondern Kunstwissenschaft studiert, ist somit als Maler Autodidakt. Er arbeitet mit Öl und Sprühfarbe, manchmal auch Lack und Kreide auf MDF-Platten und bevorzugt ungemischte, reinbunte Farben. In seinen Bildern leuchten klares Blau und grelles Grün, knalliges Rot verbindet sich mit Gelb und Orange zu Herbstlichem. Literarische Titel wie „Geisterfluss, der eine, der verbindet und trennt“, „Weltenschlange – Begleite mich“ oder „Mondhase – Folge dem Hasenbau“ sprechen ebenso für sich wie die wabernde Farbe der Bilder.
Und wie geht es nun dem Galeristen in den Zeiten von Corona? „2020 wäre ein gutes Jahr für mich gewesen, aber meine 25 Veranstaltungen in VitaMine und VitaVilla musste ich alle absagen, meine eigenen Auftritte fanden zum großen Teil nicht statt. Das ist schon ein heftiger Verlust. Aber ich kann immerhin meine Bücher, Kalender und CDs verkaufen. Im Namen der Braunschweiger Geschäftsleute und Künstler apelliere ich an alle Käuferinnen und Käufer: Bestellt Eure Weihnachtsgeschenke nicht im Internet, sondern geht in die Läden vor Ort! Und nehmt statt eines Posters lieber mal ein Original-Kunstwerk!“ (Bis 5.12., „VitaMine“, Karl Marx-Str. 6, Öffnungszeiten: Mo, Mi, Fr 10-18 Uhr, So 14-17 Uhr)