Regine Nahrwold am 19. Mai 2021
Im Atelier: Thomas Wöhrmann
„Für meine eigene Arbeit hat sich durch Corona erstmal nicht so viel verändert, denn ich arbeite sowieso stetig für mich in meinem Atelier. Aber insgesamt wird natürlich sehr viel weniger zum Sehen angeboten, also muss man genauer hingucken. Und es erschüttert mich, wenn einige Künstler sagen: So, ich mache jetzt Schluss mit der Kunst. Wenn Corona vorüber ist, bin ich gespannt auf die Neugier der Menschen auf das, was andere in dieser Zeit geschaffen haben.“ Der Maler Thomas Wöhrmann kniet im Schaufenster eines leer stehenden Ladens am Waisenhausdamm und bestreicht die Rückseite eines farbig bemalten Papiers mit Leim. „Schiebestücke“ heißt die Aktion des Allgemeinen Konsumvereins, die Wöhrmann und seine Frau Susanne Reimnitz, ebenfalls Malerin, noch bis Sonntag, 16. Mai, dort durchführen. Unter reger Beteiligung der Passanten fertigen sie mehrere große Collagen an. Die Passanten können draußen ein farbiges Papier zurechtschneiden und seinen Ort auf dem großen weißen Bogen bestimmen. So wächst das Bild, Schiebestück für Schiebestück…
1976 kam Wöhrmann nach Braunschweig, die „letzte Bastion vor dem Sozialistischen Realismus“, um an der HBK Malerei zu studieren. Aber die Hochschule war damals „total politisiert“, das schreckte ihn ab. Er studierte Kunstgeschichte und Philosophie und bildete sich autodidaktisch zum Maler aus – durch Ausstellungsbesuche, Reisen, Besuche bei Künstlern und – was das Handwerkliche anlangt – durch Versuch und Irrtum. Er suchte nach einer individuellen Form für sich, wollte nicht für die Masse arbeiten, sondern stets ehrlich bleiben sich selbst gegenüber. Er entschied sich für die ungegenständliche Malerei. Emil Schumacher, Antoni Tapies, WOLS, die abstrakten Expressionisten, die Documenta 6 von 1977 mit der Honigpumpe wiesen den Weg. Auch Beuys mit seiner „unakademischen, tiefsinnen Art, mit der Welt umzugehen“.
„Ich folge nicht dem Abbildhaften, sondern formalen Gesetzmäßigkeiten“, so Wöhrmann, in dessen Œuvre Malerei und Zeichnung eng miteinander verzahnt sind. „Oft spiele ich eine formale Thematik in Serien durch, bis sich etwas Neues in den Vordergrund schiebt.“ Im Laufe der Jahre hat er sich von der Ölmalerei auf großen Leinwänden seiner Anfangszeit entfernt und sich mehr und mehr kleineren, handlicheren Formaten zugewandt, die einen direkteren malerischen Ausdruck erlauben. „Mich fasziniert das Scheinen des Lichts in der Farbe vom Hintergrund aus, das Oszillieren und das Dunkle, selbst wenn es um ein helles Bild geht.“
Als Donald Trump letztes Jahr abgewählt wurde, lag gerade eine Reihe von kubistisch anmutenden Zeichnungen hinter Wöhrmann. „Dabei habe ich versucht, alle perspektivischen Fehler zu begehen, die man nur machen kann.“ Gearbeitet hat er mit Feder und Tusche; das immer wieder Absetzen der Feder, das erneute Eintunken und wieder-Ansetzen habe sowohl die Zeichnung als auch ihn selbst rhytmisiert. Doch nun lautete seine Devise: „Make color great again!“ Es entstand eine malerische Folge – Acryl auf Papier -, in der die Grundfarben Rot, Blau und Gelb dominieren, die transparente Überschneidung der Farbfelder und das Mischen und Schichten von Farbe waren das Thema. Und wieder ganz anders eine in den letzten Wochen entstandene Folge, weit weg von den Grundfarben: Bestimmend sind nun die Farben Rostrot, Schwarz, Weiß und leuchtendes Ultramarin. „Hier habe ich das Durchlichten vom Hintergrund her wieder aufgegriffen, das mich früher so fasziniert hat.“ Auf die nächsten Schritte des Malers und Zeichners kann man gespannt sein und auf das, was es für die Neugierigen nach der Corona-Zeit bei ihm zu schauen gibt.
Website: https://www.wöhrmann-malerei.de
Eine der drei großen Collagen, die Thomas Wöhrmann und Susanne Reimnitz im Zuge ihrer Aktion „Schiebestücke“ geschaffen haben.