Regine Nahrwold am 12. Juli 2021
Ausstellung „art to believe“ des BBK in Braunschweiger Kirchen
Während des Lockdowns waren die Kirchen ein Hort der Musik: Die musikalisch gestalteten Gottesdienste waren die einzige Gelegenheit, ein Konzert zu hören, Musik live zu erleben. Nun, da der Lockdown weitgehend aufgehoben ist, verwandelt der Bund Bildender Künstler bis zum 10. Oktober die mittelalterlichen und neogotischen Kirchen Braunschweigs in Orte für zeitgenössische Kunst: Die Ausstellung „art to believe“ zeigt 22 künstlerische Positionen aus Braunschweig und Niedersachsen an 13 Sakralorten. Und, um es gleich vorwegzunehmen: Es ist wirklich ein Vergnügen, aus der sommerlichen Hitze in die Kühle der Kirchen einzutauchen und die spannenden Begegnungen zwischen den Gemäuern von Gestern und der Kunst von Heute zu erleben.
Im Dom St. Blasii dominiert die Installation „Wege 2_4_1_3 2021“ von Uve Mehr das südliche Seitenschiff: hintereinander gestaffelte, farbig bedruckte Stoffbahnen mit einer streng rationalen Flächenaufteilung; ein Zufallsgenerator hat die Farben ausgewählt. Diese bilden einen leuchtenden Kontrast zum Weiß der Pfeiler und Gewölbe, während die Geometrie der Farbfelder gut zu den architektonischen Strukturen passt.
Auch die Installation „Wanderung“ von Edin Bajiric im Altarraum von St. Magni behauptet groß und auffallend ihren Platz: Rund 5000 von seltsamen Gipsformen wälzen sich wie ein Schwarm Lemminge die Treppen hinauf. Bajiric, der aus Bosnien und Herzegowina stammt und wegen des Bürgerkriegs fliehen musste, greift damit das Thema des großen Glasfensters auf, den Zug der Israeliten durch das Rote Meer. Dabei reduziert er das Narrativ auf eine formale Struktur. Ebenfalls auf ein Kunstwerk in St. Magni bezieht sich anna.laclaque mit ihrer Arbeit “ANIMUS-ANIMA“, nämlich auf das Kruzifix des Hochaltars im südlichen Seitenschiff. Auf die Christusfigur projiziert sie den Film einer Frau in Bewegung. Leicht wie ein Irrlicht umspielt die Projektion den männlichen Körper und haucht ihm eine weibliche Seele ein. Christus als Verkörperung von Vollkommenheit und Einheit birgt in sich das männliche und das weibliche Prinzip. Dieser Gedanke hat hier eine überzeugende Gestalt angenommen.
Corona ist immer noch ein Thema. So etwa für den Holzbildhauer Jürgen Neumann, der seine mit Kettensäge und Flammenwerfer geschaffenen, expressiven Figuren und Köpfe im Kreuzgang der Brüdernkirche unter dem Motto „Nähe und Distanz“ zeigt und dieses auch auf religiöse Fragen bezieht. Eine schmale Gestalt signalisiert mit überlangem Arm und großer Hand „Abstand!“, eine andere legt den Arm um den eigenen Kopf wie eine schützende Hülle. Neumanns Figuren sind roh aus dem Holz herausgerissen und wirken doch empfindsam und verletztlich. Der Umgebung des Kreuzgangs mit den alten Grabplatten fügen sie sich harmonisch ein.
Ganz anders dagegen die Arbeit „how to look“ der BEZUGSGRUPPE RAINER RAUCH: Die vielen Ringlichter, die sie im Mittelschiff von St. Martini zwischen den Sitzbänken aufgestellt hat, wirken zunächst wie irritierende Fremdkörper. Auch sie sind eine Reminiszenz an die Corona-Zeit, dient doch das Ringlicht dazu, eine Person, die sich im Internet präsentiert, bestmöglich auszuleuchten. In einem Kirchenraum erinnert dieses für die Selbstoptimierung unverzichtbare Instrument natürlich an einen Heiligenschein. Und ist das Licht erst eingeschaltet, entfaltet die Installation auch ihren ästhetischen Reiz.
In St. Andreas liegt ein Ansammlung Knochen aus gebranntem, weiß glasiertem Ton; gebrannt wurden die Knochen mit Alufolie, die dabei zu Asche zerfällt. Die koreanische Künstlerin Heeae Yang hat dieses Werk geschaffen und sehr prononciert zwischen Altar und Taufbecken platziert. Dort erinnert es an die Gebeine von Märtyrern oder Opfern eines Massakers. Das geht unter die Haut, zumal an dieser Stelle. Im südlichen Seitenschiff hat Seonah Chae, ebenfalls Koreanerin, mit Tinte überzeichnete Landkarten auf dem Boden ausgelegt. Die Überzeichnungen spannen ein landschaftlich anmutendes Liniennetz über die Karten – sehr feine Arbeiten sind das.
Zu jeder künstlerischen Position gibt es vor Ort ein Informationsblatt. In dem zur Arbeit „Transparenz/Transzendenz“ von Stefan Gräfe in St. Johannis heißt es da, der Künstler erforsche „das erweiterte semantische Feld prägnanter biblischer Begriffe abseits der Schrift selbst“. Das klingt sehr abstrakt, und das sind die im Raum hängenden durchsichtigen Folien mit Worten aus der Bibel (z.B. Nehmen, Geben, Frucht, Zorn, Blut) auch. Dem stehen vor dem Altarbild die „7 Kelche“ von Ursula Reiff gegenüber. Aus Naturfundstücken und Papiermaché geschaffen, erinnern sie sowohl an den Abendmahlskelch als auch an den Kreislauf von Werden und Vergehen in der Natur.
Und noch viel mehr gibt es zu entdecken. Beteiligt sind auch die Kirchen St. Petri, St. Pauli, St. Michaelis, St. Matthäus, St. Bartholomäus, St. Katharinen und die Klosterkirche Riddagshausen. Auch ist ein bezauberndes Büchlein für Kinder erschienen, mit Texten zu jedem Sakralort von Julia Taut und Illustrationen von Ingo Lehnhof. Weitere Informationen auf https://www.kunsthausbbk.de/