Regine Nahrwold am 13. Oktober 2021
„Habitate“. Salon Salder 2021
Foto: Gertrud Färber
Eine achteckige Kabine aus festem Karton, die Tür steht offen. Neugierig späht man ins Innere. Sehr eng ist es da. Ein Mülleimer hängt an der Wand. Seine Unterseite ist herausgebrochen, sein Inhalt – leere Bierflaschen, Kronkorken, Chipstüten – bildet auf dem Boden ein unappetitliches Ensemble. Die Außenseiten des Oktogons sind mit Graffiti besprüht. LOST NATURE ist zu lesen und SPACE TRASH, auch ein Ufo und ein Planet schweben da. Ein enger, hoher Innenraum, der wie eine Raumkapsel anmutet, wird zum größten denkbaren Außenraum in Beziehung gesetzt, zum Universum. Verloren ist unsere Natur, die im Müll erstickt, Rettung verheißt die Möglichkeit, ihn ins Weltall zu schießen.
„Oktabin Raum 14“ heißt diese Arbeit von Joanna Schulte. Sie gehört zu elf niedersächsischen Künstlerinnen und Künstlern, die zur Zeit im „Salon Salder“ der Städtischen Kunstsammlungen Schloss Salder ausstellen. Das Thema lautet in diesem Jahr „Habitate“. Dieser Begriff meint einen spezifischen, abgegrenzten Lebensraum in der Tier- und Pflanzenwelt, aber auch die menschliche Lebenswelt. Die Ausstellenden haben sich von diesem Motto zu den unterschiedlichsten Ausdrucksformen inspirieren lassen: Fotoarbeiten und Zeichnungen, Video, Skulptur und Installationen bilden eine mediale Vielfalt, die allein schon die Schau abwechslungsreich und sehenswert macht.
Sina Heffner, die sich ganz dem Thema „Tiere“ verschrieben hat, hat sich dieses Mal der Vögel angenommen. In den Gefachen ihres schrankartigen „Vogelbaums“ sitzen weiß bandagierte Vögel, wie abgestorben und ins Leichentuch gehüllt. Dazu zeigt Heffner „Nistkästen“, eine Assemblage von kubischen Körpern aus Karton mit Ein- und Ausflugslöchern. Man kann das als Verweis auf das dramatische Vogelsterben auffassen, doch wirken die Kästen durch ihre abstrakt-geometrischen Formen eben auch als autonome Skulpturen. Dazu gehört noch eine Serie von sehr feinen Zeichnungen nach Abdrücken, die Vögel mit ihrem Gefieder auf Glasscheiben hinterließen.
Die Koreanerin Sun Rae Kim, die an der HBK Braunschweig studierte, hat mit ihrer Installation „Spring“ eine seltsame Szenerie geschaffen. Kleine gesichtslose Figurinen in genoppten Anzügen stehen wie verlorene Kinder zwischen halbkugeligen, pomponartigen Büschen in Grün und Violett – eine Unterwasserlandschaft? „Attribute der Popart und das Narrativ eines Märchens verbinden sich in ihr“ schreibt Michael Stoeber im Katalog dazu.
Lilith Queisser hat mit ihren Fotografien und ihrem Video „Wohnung Nr. 15“ Eindrücke von einer verlassenen Wohnung festgehalten, von den Relikten, in denen die Anwesenheit der nun abwesenden Bewohner noch spürbar ist. Unser Blick wandert mit der Kamera über Fensterbänke sowie durch Bad und Küche, ins Wohnzimmer, wo der Tisch vor Vasen überquillt, bis hin zu blauen Müllsäcken. Schnitt. Nun die gleiche Wohnung, ausgeräumt und frisch renoviert. Jede Spur der früheren Bewohner ist getilgt, in weißer Leere wartet sie auf neue Mieter, die sich hier mit ihren Dingen einen neuen Lebenraum schaffen werden. Ergänzt werden diese Arbeiten um eine Serie kleiner Zeichnungen von skurrilen Interieurs – sehr charmant und witzig.
Foto: Gertrud Färber
Dem Fenster als einem Übergang zwischen Innen und Außen hat sich Carlotta Drinkewitz in ihrer Arbeit „Land of Oblivion“ (Land des Vergessens) gewidmet. Nach einem Stipendium saß sie coronabedingt in Litauen, in der Hafenstadt Klaipeda, fest und hat dort auf ihren Spaziergängen Fenster fotografiert. Diese Aufnahmen druckte sie auf einen hauchzarten Batiststoff, der, vor einer MDF-Platte hängend, einen Schatten an die Wand wirft. Zusammen mit den Blicken ins Innere sowie den Spiegelungen auf dem Foto ergibt sich so eine poetische Vielschichtigkeit.
Auch alle anderen Werke lohnen den Besuch. (Bis 31. 10, Schloss Salder, Museumsstraße 34, 38229 Salzgitter, Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag 10.00 – 17.00 Uhr, Sonntag 11.00 – 17.00 Uhr)