Regine Nahrwold am 23. Oktober 2021
Ausstellung „Scene or Scenery“ im Kunstverein Wolfenbüttel
Foto: Gertrud Färber
Ein sehr dunkler Innenraum. Durch schmale Fenster fällt Licht auf eine glänzende Tischplatte; ein wuchtiger Ledersessel vor dem Tisch wird an seinen Lichtkanten sichtbar. Das Ganze ein winziges Polaroid in einem großen Rahmen. Wirklich? Beim zweiten Hinsehen erkennt man, dass es sich um eine veritable Zeichnung mit schwarzer Ölkreide auf weißem Papier handelt.
Kohlezeichnung von Steffen Kern (Foto: Gertrud Färber)
„Scene or Scenery?“ lautet die Frage zur Zeit im Kunstverein Wolfenbüttel. Unter diesem Titel zeigen Stefanie Hofer (geb. 1974) und Steffen Kern (geb. 1988), beide Meisterschüler von Karin Kneffel, Druckgraphik und Zeichnungen. „Scene“ ist in etwa mit „Ort, Schauplatz, Bühne“, „Scenery“ mit „Landschaft, Kulisse, Dekoration“ zu übersetzen. Eine Ambivalenz zwischen etwas Natürlich-Realistischem und etwas Künstlich-Fiktivem klingt in beiden Worten an. Und in eben dieser Ambivalenz sind die Arbeiten von Kern und Hofer zu verorten.
Stefanie Hofer: Materiality (2021), Aquatinta (Foto: Gertrud Färber)
Beide Künstler arbeiten meist im Medium des Schwarz-Weiß. (Kern zeigt auch einige farbige Zeichnungen.) Kerns Kohlezeichnungen stellen architektonische Ensembles und Interieurs dar, Hofers Aquatinta-Radierungen zeigen Parklandschaften. Sowohl die Zeichnungen als auch die Druckgraphiken wirken auf den ersten Blick so realistisch, dass man sie für Fotografien halten könnte. Doch verflüchtigt sich dieser Eindruck im weiteren Hinschauen immer mehr in die elementaren Mittel, aus denen sich der Bildgegenstand zusammensetzt: die weichen, immateriell wirkenden Kohlestriche von zartestem Grau bis zu tiefsten Schwarz sowie das ausgesparte weiße Papier dazwischen verdichten sich zum Bild eines Innenraums. Hofers Landschaften lösen sich in ein kunstvoll gewobenes, atmosphärisches Netz von schwarzen Linien, Grauwerten und weißen Lichtflecken auf. Im Zwischenraum zwischen dem Konkreten und Abstrakten ereignet sich die Kunst beider, die sich von zwei Gegenpolen aufeinander zu bewegen: Kern setzt bei der Abstraktion an und gelangt von da zu einer imaginierten Realität. Hofer beginnt mit dem Konkreten, von dem sie über Fotografien und Zeichnungen bis zur Aquatinta ein Stück weit abstrahiert. Und was gesehen wird, liegt ganz im Auge des Betrachters.
Im ersten Raum hängen Arbeiten beider Künstler im gemischten Tableau. Einen zweiten Raum hat Stefan Kern mit einer Installation bespielt, die sich um die bildnerischen Mittel Linie, Fläche, Helldunkel, Schwarzweiß, Licht und Farbe dreht. Im dritten Raum kann man ausgiebig Stefanie Hofers großartige Aquatinta-Radierungen studieren. Unbedingt anschauen! (Bis 14.11., Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstr. 1, 38300 Wolfenbüttel, Öffnungszeiten: Mi bis Fr 16–18 Uhr, Sa und So 11–13 Uhr).