Regine Nahrwold am 3. Dezember 2021
Ausstellung „Wunderhaus“ von Chinatsu Ikeda im Kunstverein Wolfenbüttel
Welch ein Kontrast! Draußen: alles deprimierend trüb, grau, regnerisch. Dann öffnet man die Tür zum Kunstverein Wolfenbüttel und steht im „Wunderhaus“ der japanischen Künstlerin Chinatsu Ikeda, mitten in einem Rausch der Farben! Fußboden und eine Wand des großen Raumes leuchten osterglockengelb; Grasgrün und Weiß dominieren in den anderen beiden Räumen. An den Wänden hängen und stehen auf Regalböden die knallbunten Bilder und Objekte von Chinatsu Ikeda. Doch was heißt schon „hängen und stehen“, hat doch die Künstlerin die Präsentation ihrer Arbeiten installativ gestaltet und alle drei Räume komplett verwandelt. Ornamentale Malereien schmücken die Wände, und um die einzelnen Arbeiten ranken sich langstilig-verschlungene Blumen aus Papier.
Die Bilder, vorwiegend Aquarelle, zeigen Pflanzliches und Landschaftliches, manchmal pointillistisch aufgelöst in Reihen von farbig modulierten Pünktchen, manchmal mit aus farbigem Papier ausgeschnittenen Formen. Unter den Objekten finden sich Blumenvasen, Tassen und Becher aus bemaltem Pappmachée, Zahnbürsten, Latschen sowie Gitarren, dreidimensional geschaffen aus farbigem Karton. Sie erinnern zurück an Picassos Gitarren aus seinen Bildern der Phase des synthetischen Kubismus ab 1912 und an seine plastischen Gitarren, ebenfalls aus Karton geformt. Doch diese sind meistens in Braun- und Beigetönen gehalten, während Ikedas Instrumente bunt sind. So bunt wie die Gemälde von Picassos Zeitgenossen, Freund und Antipoden Henri Matisse, der als zweiter großer Pate über ihren Arbeiten und dieser Ausstellung steht. Von seinen Scherenschnitten sind Ikedas Cutouts inspiriert, von seinen stilisierten Blättern ihre Pflanzenformen, von seinem Kolorismus ihre Buntfarbigkeit.
Das alles ist getragen von einer wunderbaren Verspieltheit, dass einem ganz leicht und froh ums Herz wird. Hatte nicht Matisse ein Leben lang „von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe“ geträumt, „einer Kunst, die für jeden Geistesarbeiter (…) ein Beruhigungsmittel ist, eine Erholung für das Gehirn, so etwas wie ein guter Lehnstuhl, in dem man sich von physischen Anstrengungen erholen kann“? Das „Wunderhaus“ jedenfalls macht dem Novemberblues garantiert den Garaus.
Chinatsu Ikeda begann 2007 ihr Studium an der School of the Art Institute, Chicago, das sie mit einem Master in den Schönen Künsten, in Malerei und Zeichnung abschloss. Sie lebt und arbeitet in Berlin. (Bis 19.12., Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstr. 1, 38300 Wolfenbüttel, Öffnungszeiten: Mi bis Fr 16–18 Uhr, Sa und So 11–13 Uhr).