Regine Nahrwold am 12. März 2022
Ausstellung „Das letzte Abendmahl“ in der Jakobkemenate, Braunschweig
„Möchte der Herr nicht lieber einen Einzeltisch, oder erwartet er noch jemanden?“ Der so vom Kellner befragte Gast im Ristorante da Vinci zieht als Antwort ein langes Gesicht. Es ist Jesus, der da sitzt, in unsere Gegenwart zurückgekehrt, an der mit weißem Tischtuch gedeckten Tafel aus Leonardos berühmtem Mailänder Wandgemälde „Das letzte Abendmahl“. Einsam harrt er seiner zwölf Jünger – doch sie kommen nicht. Haben die Menschen heute keine Zeit mehr für ihn und seine Botschaft, haben sie ihn gar völlig vergessen?
Der Cartoon von Gustav Glück aus dem Jahr 2015 gehört zur Sammlung von bis jetzt zehn Abendmahlsdarstellungen der Stiftung Jürgen und Karin Prüsse. Alle zehn werden nun in einer Ausstellung in der Jakob-Kemenate gezeigt, für die Dauer der Fastenzeit, von Aschermittwoch bis Gründonnerstag, dem Tag des Abendmahls. Jochen Prüsse hat die meisten dieser Arbeiten bei Künstlerinnen und Künstlern in Auftrag gegeben, die eine Einzelausstellung in der Jakob-Kemenate hatten. Nun wollen er und seine Frau mit der Ausstellung für die Zeit vor Ostern zum Nachdenken über die Passionsgeschichte, den Kreuzestod Christi und die Auferstehung anregen.
An Leonardo da Vinci haben sich außer Glück noch andere Künstler abgearbeitet, allen voran Ben Willikens, der von 1982 bis 1991 eine Professur für Malerei und Graphik an der HBK Braunschweig innehatte. Er wurde bekannt mit in reinen Weiß- und Grautönen sehr akkurat und ohne jegliche Pinselspur gemalten, kühl und steril wirkenden Interieurs. In diesem Stil erschuf er 1979 auch Leonardos „Abendmahl“ neu, als einen in kalt-gleißendes Licht getauchten Raum, aus dem Christus und die Jünger getilgt sind. Gerade diese Leere ist es, die Willikens‘ Abendmahlsdarstellung als so paradigmatisch für unsere Zeit erscheinen lässt: Das Heilsgeschehen ist unvorstellbar, der Glaube daran erschüttert oder ganz abwesend.
Auch bei Gudrun Brüne, bereits in der DDR eine erfolgreiche Malerin, ist Christus eine Leerstelle, eine gesichtslose Gliederpuppe. Sie hat sich in ihrem großen Gemälde von 2017 am engsten an die Figurenkomposition Leonardos gehalten, doch die Jünger verbergen hier ihre Gesichter unter glatten, weißen Masken. Dazu die Künstlerin selbst: „Ich wollte Jesus nicht durch ein Gesicht verstellen, und die Jünger verstecken sich. Jeder fragt sich insgeheim angstvoll, ob er der Verräter sein wird. Ja, jeder könnte es sein.“ Sie nimmt also die menschlichen Reaktionen der zwölf Männer – und auch Frauen – auf die Ankündigung des Verrats in den Fokus.
Ebenso „menschelt“ es bei Marina Krohs, die 2018 die bisher einzige plastische Arbeit zur Sammlung beigesteuert hat: wieder findet sich der lange Tisch, an dem nun aber an Christi Stelle der friedensbewegte Beatle John Lennon mit seiner Frau Yoko Ono getreten ist. Unter den Gästen befinden sich Mutter Teresa und der Dalai Lama, aber auch Andy Warhol, Salvador Dali und die Mode-Ikone Iris Apfel. Wegen des Wiedererkennungseffekts ganz lustig, aber letztlich nur ein Gag.
Elisabeth Engelbrecht hat 2013 den Tisch des Herrn für die Schöpfung, mitten in einer saftig-grünen Blumenwiese angerichtet: Christus und die Jünger fehlen wieder; der Wein ist verschüttet, eine Taube pickt an den Brotresten, und es nähern sich Igel, Schlange, Frosch und Maus. Der Stilllebenmaler Horst Schmidt wiederum hat es sich einfach gemacht und das Thema über die Zahl 13 seinem gewohnten Metier einverleibt: Sein Bild von 2021 zeigt 13 schlichte, alte Weingläser auf einem Tisch, das größte in der zentralen Christus-Position; ein angeschlagenes Glas steht für den Verräter Judas. Rätselhaft dagegen das Gemälde von Hermann Buß von 2013: Der im Vordergrund allein am Tisch Sitzende wendet sich nach hinten, wo sich in großer Entfernung jemand davonstiehlt: Judas? Petrus? Das starke Bild beschäftigt die Phantasie.
Am weitesten vom eigentlichen Abendmahl entfernt und vielleicht gerade darum am faszinierendsten ist das Gemälde, das Alexander Cavelli 2013 schuf. Es zeigt den Bohrkopf, der beim Grubenunglück in Lengede bei Salzgitter elf verschüttete und für tot erklärte Bergleute nach zehn Tagen rettete. Er erscheint in hellem Licht, so wie ihn die Eingeschlossenen sahen, als nach tagelanger Dunkelheit endlich der Durchbruch gelang.
Ein Veranstaltungsprogramm mit Führungen und Vorträgen begleitet die Ausstellung (Bis 14.4.; Jakob-Kemenate, Eiermarkt 1b, Öffnungszeiten: Mo-Sa 11-17 Uhr, So 12-17 Uhr.)