9. Juni 2020
Ausstellung zum 100. Geburtstag von Karl Schaper im Kunstverein Wolfenbüttel
Arbeiten von K. Schaper, J. Roh (links) und M. Bannenberg (rechts), Foto: Gertrud Färber
Auf der einen Seite: Karl Schaper, der in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden wäre, vielen älteren Kunstfreunden unserer Region noch bekannt als ein widerborstiger bis kauziger Schöpfer riesiger Holzbriefe mit politischen Botschaften, die an die Mächtigen der BRD und der Welt, der Geschichte und der Gegenwart gerichtet sind; in seinem Atelier im Apelnstedter Haus kann man noch immer sein kreatives Flair verspüren, so, als sei er nicht schon 2008, sondern erst gestern verstorben. Auf der anderen Seite: Jiun Roh, geboren 1978 in Südkorea, Studium der Fotografie am Seoul Institute of the Arts, Studium der freien Kunst und der Kunstwissenschaft an der HBK Braunschweig. Als Künstler, Kurator und Kunstwissenschaftler analysiert Roh – bevorzugt konzeptuell, performativ oder medial (Fotografie, Video, Film) – die Biografien und Werke von KünstlerInnen des 20. Jahrhunderts. Was wird daraus, wenn so ein Künstlerkurator sich des Mannes annimmt, der – so Marianne Winter 1995 – „zur niedersächsischen Kunstszene gehört wie die Herzog August-Bibliothek zu Wolfenbüttel und die Zuckerrübe in die Kunstgeschichte eingeführt hat“? Eines Mannes, den er selbst nie persönlich kennen gelernt hat? Nun, zunächst einmal, im Gegensatz zu Schapers originalem und originellem Atelier mit seinem kreativen Chaos: eine sehr aufgeräumte und ordentliche Angelegenheit.
Im ersten Raum von Rohs Ausstellung „mutatis mutandis“ im Kunstverein Wolfenbüttel ist ein Foto Karl Schapers an seinem überquellenden Arbeitsplatz groß an die Wand projiziert. Nein, es ist die Aufnahme einer Projektion dieses Fotos, der Lichtstrahl hat die Gestalt auf dem Stuhl ausgelöscht, an ihre Stelle ist eine bedeutungsvolle Leere getreten. Dazu erklingt eine Aufnahme von Schapers Atemgeräuschen, seinem Luftholen während des Redens. Beide Leerstellen stehen für die Unmöglichkeit, die Person und das Œuvre des Künstlers völlig zu erfassen; alle, die sich damit beschäftigen, sind aufgefordert, diese Leere mit ihrem eigenen Bild vom Künstler zu füllen.