Regine Nahrwold am 15. Februar 2022:
Ausstellung „Pandemische Collagen“ von S. Neuenhausen im Kunstverein Wolfenbüttel
In geballten Wolken schwebt ein riesiges schwarzes Gestirn über eine Reihe von Hochhäusern. Eine Figur mit ausgestreckten Armen steht in einem Wirbel kreisender Linien. Neun Hüte bilden ein Quadrat, darüber zwei Hände mit erhobenem Zeigefinger. Motive aus der neuen Folge „Pandemische Collagen“ des alten Siegfried Neuenhausen, die nun im Kunstverein Wolfenbüttel gezeigt wird. Material für diese Arbeiten war die Restauflage der Holzschnitt-Serie „Deutsch-deutsche Drucke“ von 1990, die der Künstler zerschnitt und neu zusammenfügte. Dabei ergab sich nicht nur Gegenständliches, sondern vor allem reizvolle grafische Strukturen: Streifen, Gitter, konzentrische Kreise. „Störfaktoren“ und dinghafte Einsprengsel durchbrechen und beleben diese Grundmuster.
Doch: „Ich war nie ein Künstler, der nur im Atelier vor sich hin gearbeitet hat“, stellt Neuenhausen, im Künstlergespräch zur Eröffnung klar. Nein, wahrhaftig nicht! Zwar studierte er 1952 bis 1959 Neuenhausen an der Kunstakademie Düsseldorf ganz klassisch Malerei (bei Georg Meistermann) und Kunsterziehung, war anschließend in Hannover als Kunstpädagoge tätig und erhielt 1964 eine Professur an der HBK Braunschweig. Aber dann ging’s los: Seine Arbeiten wuchsen in die dritte Dimension hinaus und in die Popart hinein. „Damit warst Du damals der Modernste an der HBK“, so Gesprächspartner Lienhard von Monkiewitsch. In den 1970er Jahren entwickelte sich Neuenhausen dann mit Skulpturen à la Edward Kienholz, z.B. von gefolterten Gefangenen, zum politisch engagierten Künstler. Gleichzeitig suchte er in der Lehre nach neuen Formen, holte etwa beim Aktzeichnen zwei Obdachlose als Modelle. Dabei entstanden nicht nur Zeichnungen, sondern, aus menschlichem Interesse heraus, auch Plastiken, Fotos, Reportagen. Neuenhausens humanitär begründetes Engagement für Benachteiligte und Leidende führte 1979 in Bremen zu einem ersten soziokulturellen Projekt mit Strafgefangenen, die an die Steinbildhauerei herangeführt wurden und dabei ganz neue Fähigkeiten an sich entdeckten. Diese Werkstatt – heute sind es drei – ist in der Strafanstalt seit 40 Jahren fest angesiedelt, die Arbeitsergebnisse sind dauerhaft ausgestellt, 11 Künstler arbeiten dort. „Da war Kunst wirklich politisch, denn sie hat Realität verändert“, stellt Neuenhausen fest. Dieser Pioniertat folgten ähnliche Projekte mit Psychiatriepatienten in Hamburg-Ochsenzoll und Wunstorf sowie in Hannover-Hainholz mit den Bewohnern dieses Stadtteils, darunter viele Migranten. Dort hat der Künstler 1983 eine Schnapsfabrik erworben, als Ateliergebäude und „Gesamtkunstwerk, wo die Kunst von innen nach außen, in den Stadtteil hinein wirken soll“. Für sein Engagement erhielt Neuenhausen 1988 das Bundesverdienstkreuz I. Klasse.